Demokratiegeschichten

Eine konservativ Gegenstimme – Ricarda Huch (1864-1947)

„Die echten Schriftsteller sind die Gewissensbisse der Menschheit.“ Mit diesem Zitat von Ludwig Feuerbach (1804-1872) und dem folgenden Beitrag starten wir die Reihe Geschichte schreiben – deutsche Schriftsteller:innen und das 20. Jahrhundert. In Werken, Briefen und öffentlichen Äußerungen tragen kritische Autor:innen seit jeher zur politischen Meinungsbildung ihrer Mitmenschen bei. In den folgenden Wochen und Monaten möchten wir euch mehrere kritische Zeitgenoss:innen aus dem 20. Jahrhundert vorstellen, die vor dieser Aufgabe nicht zurückgeschreckt haben.

…. Beginnen wir unsere Zeitreise mit dem Ende des 19. Jahrhunderts und der Intellektuellen Ricarda Huch.

Wer war Ricarda Huch?

Der Name wird manchen bekannt vorkommen, aber schon die Frage nach ihrem Beruf und Lebenswerk bringt uns ins Stocken. Der Schriftsteller Thomas Mann hatte Ricarda Huch einmal als „erste Frau Deutschlands“, als „Herrscherin im Reich des Bewußten“ und als „Genie“ bezeichnet. Sie sei mehr als eine „reine Dichterin“. Also wer war Ricarda Huch? Was tat sie?

Neben Gedichten verfasste Huch zahlreiche Novellen, Dramen, autobiografische Texte und nicht zuletzt historiografische Schriften. Bis heute diskutieren Wissenschaftler:innen, ob es sich dabei um historische Romane oder um wissenschaftliche Darstellungen handelt. Eine ähnliche Unsicherheit tut sich auf, wenn es darum geht, Huch politisch einzuordnen. Dabei sind von der Schriftstellerin zahlreiche Werke, Briefe und Zitate überliefert, in denen sie ihre eigenen politischen Ansichten lautstark vertritt. Von einer abschließenden Standortbestimmung sah Huch selbst jedoch ab.

Ich kann, wenn ich ehrlich sein will, nichts durchweg Erfreuliches sagen. Ich kann auch nichts Einfaches sagen, da die Situation zu kompliziert ist. Ich bin nicht marxistisch, ich bin nicht kapitalistisch, ich bin nicht nationalsozialistisch, aber ich bin auch nicht schlichtweg demokratisch im heutigen Sinn.“

Ricarda Huch in einem Brief an Erich Lichtenstein, März 1931.

Kindheit und Ausbildung

1864 kam Ricarda Huch als drittes Kind eines angesehenen Kaufmanns in Braunschweig auf die Welt. Wie mehrere ihrer Verwandten interessierte sich Huch früh für Literatur und fing im Alter von fünf Jahren an zu dichten. Mit vierzehn beendete sie die Schule in Deutschland. Ein weiterer Bildungsweg blieb ihr als Mädchen aber verwehrt. So zog Huch 1887 in die Schweiz. In Zürich absolvierte die talentierte junge Frau das Abitur. Daraufhin blieb Huch zunächst in Zürich und studierte Philosophie, Philologie sowie Geschichte. 1892 schloss sie ihr Studium als eine der ersten deutschen Frauen mit einer Promotion ab.

Außer der Chancenungleichheit von Männern und Frauen gab es für Huch noch einen anderen Grund das Deutsche Reich zu verlassen. Anders als ihr Vater, ein glühender Anhänger Bismarcks, konnte sie mit dem Deutschen Kaiserreich wenig anfangen. Zu ihrer selbsterklärten Vorliebe für Revolution und Rebellion schien das strenge preußische Klima schlecht zu passen.

Ricarda Huch im Jahr 1901, Radierung von Johann Lindner 1904, gemeinfrei.

Eine Frau von Welt

Bis zu ihrem Tod 1947 prägten die verschiedensten historischen Ereignisse ihr Leben: vom Ersten Weltkrieg, über die politische Wirren während der Weimarer Republik, der Ära der Nationalsozialisten bis hin zum Zweiten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Begleitet wurden die gesellschaftlichen Umbrüche von Huchs ständigen Umzügen und anderen wichtigen Lebenseinschnitten.

So ließ sich die Autorin zeitweise in Bremen, Wien, Berlin, München, Jena und vielen weiteren Orten nieder. Darüber hinaus knüpfte Huch in München kurz nach der Jahrhundertwende erste Kontakte zu engagierten Frauenrechtlerinnen wie beispielweise Gertrud Bäumer. Deren Meinungen teilte sie zwar nicht restlos, insgesamt plädierte aber auch Huch für ausgeglichenere Geschlechterverhältnisse.

Der Blick zurück und nach vorne

Als Romanautorin und Lyrikerin verfasste Huch viele autobiografische Schriften. Daneben spielten aber auch historische Themen eine wichtige Rolle. Zu Beginn ihrer Karriere erarbeitete sich Huch vor allem im europäischen Ausland einen herausragenden Ruf. Besonders in Italien wurde sie für ihre Schriften zur italienischen Einigung unter Guiseppe Garibaldi gefeiert. Aber auch im Inland schätzten Zeitgenoss:innen ihre Werke. Die Besonderheit lag dabei in der romanhaften Sprache Huchs mit der sie sorgfältig abgewogene Fakten präsentierte.

Besonders unter dem Einfluss des Ersten Weltkriegs beschäftigte sich Huch fortan verstärkt mit der Geschichte des Deutschen Reiches. Zu ihren bekanntesten Werken zählten eine Abhandlung über den Dreißigjährigen Krieg sowie Biografien von Wallenstein, Luther und dem Reformer Freiherr von Stein. Diese inszenierte sie zwar als vorbildlich, aber gleichzeitig als scheiternde Staatsmänner. Huch verfasste keine Erfolgsgeschichten. Die Rechnung ihrer Hauptcharaktere ging nicht auf und damit kehrte sich auch die politische Entwicklung des Landes in den Augen der Verfasserin nicht zum Guten.

Im Gegensatz zum mittelalterlichen Kaiserreich bewertete Huch moderner Staatssysteme – darunter auch die neue Demokratie – besonders negativ. An der Weimarer Republik kritisierte sie unter anderem deren Entstehungsgeschichte aus der Niederlage des Ersten Weltkriegs heraus. In Deutschland sei keine Demokratie gewachsen, sondern lediglich aufgezwungen worden von den Alliierten. Dementsprechend lehnte sie sie ebenso ab wie das Kaiserreich zuvor. Was ihrer Ansicht nach in beiden Staatsformen fehlte war eine souveräne, einigende Kraft, kombiniert mit einer gerechten, solidarischen Gesellschaft. Frauen und Männer, Arme und Reiche – die Unterschiede sollten nicht beseitigt, aber ausgeglichen werden. Vor allen Dingen wünschte sich Huch Freiheit und Vielfalt, die sie gerade im späteren nationalsozialistischen Reich vermisste.

Kritik gegen den Nationalsozialismus

Wie sehr sie sich gegen das System und die Propaganda der NSDAP stellte, machte Huch 1933 deutlich. Als mehrere jüdische Mitglieder aus der renommierten Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen wurden, trat sie selbst aus. Diesen Schritt erklärte Huch in einem Brief an den damaligen Akademiepräsidenten Max von Schillings:

„Was deutsch ist und wie Deutschtum sich betätigen soll, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt, ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, den Zwang, die brutalen Methoden, die Diffamierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll […] Hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der Akademie.“

Ricarda Huch in einem Brief an Max von Schillings, am 9. April 1933
Mit Max von Schillings wurde 1932 ein offener Republik-Gegner und Antisemit zum Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste gewählt, Foto um 1900 von Nicola Perscheid, gemeinfrei.

Die „Deutsche Geschichte“

Trotz dieser offenkundigen Kritik am Nationalsozialismus erschienen 1934 und 1937 die ersten beiden Bände ihrer dreiteiligen Deutschen Geschichte. Darin verurteilte Huch unter anderem die Verfolgung von Juden und Jüdinnen im Mittelalter. Außerdem begründete sie die lautstark kritisierten jüdischen Geldgeschäfte mit dem Ausschluss jüdischer Bürger:innen aus anderen Berufen. Wie zu erwarten löste Huchs Werk unter der überwiegenden Mehrheit ihrer Rezensent:innen laute Empörung aus. Zu einer strafrechtlichen Verfolgung oder weitreichenden Hetzkampagnen kam es jedoch nicht.

Derweil ging das regimekritische Engagement der Autorin noch weiter. Zwar trat Huch kaum noch öffentlich in Erscheinung, ihr Haus in Jena entwickelte sich aber zu einem Treffpunkt für kritische Intellektuelle, darunter Angehörige der Attentäter vom 20. Juli 1944. Private Äußerungen gegen das Regime führten schließlich dazu, dass gegen die Autorin kurzzeitig ein Verfahren wegen „Vergehen gegen das Heimtückegesetz“ lief. Nach nur wenigen Verhören wurde dieses jedoch eingestellt. Bis heute ist nicht vollständig aufgeklärt, warum die offenkundige und einflussreiche Regimekritikerin im Gegensatz zu vielen Kolleg:innen einer nationalsozialistischen Verfolgung entging. Ein wichtiger Faktor stellte jedoch sicher der gleichbleibende Rückhalt aus dem faschistischen Italien dar.

Huchs letztes Werk

Als der Krieg zu Ende ging, war Huch bereits über 80 Jahre alt. In den vergangenen Jahren hatte sie sich zwar aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, ihre schriftstellerische Tätigkeit aber nicht aufgegeben. Die Anerkennung, die sie im Nationalsozialismus verloren hatte, erhielt sie nun zurück. Dabei zog Huch ein ganz offenes und trockenes Resumee aus dem verlorenen Krieg. In einem Aufsatz zum Neujahr 1946 schrieb sie:

„Wohl gab es Tapfere, die gegen das Böse protestierten, Edle, die das Böse bekämpfend, in den Tod gingen; sie haben dadurch die Ehre des
deutschen Volkes gewahrt, es aber nicht von der Schuld befreit in die die begangenen Verbrechen es verstrickten […] Die Unschuldigen müssen mit den Schuldigen schuldig sein, die Schuldigen den Unschuldigen ihre Unschuld gönnen. Betrachten wir uns nicht als Opfer, sondern als solche, die mit der Hölle im Bunde waren und wunderbar gerettet sind. “

Ricarda Huch, „Neujahrsbetrachtung“ in der „Täglichen Rundschau“, 1. Januar 1946

Die eigentlichen Opfer und Held:innen sah Huch derweil in den deutschen Widerstandskämpfer:innen gegen das nationalsozialistische Regime. Ihnen wollte sie ihr nächstes Werk widmen. Zu diesem Zweck begann die Autorin Informationen zur Weißen Rose und zur Roten Kapelle zu sammeln. Doch bevor sie ihre Arbeit vollenden konnte starb Ricarda Huch am 17. November 1947.

Ricarda Huchs Grab auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main, Foto 2009, gemeinfrei.

Wie erinnern wir an Ricarda Huch?

Beinah 75 Jahre nach ihrem Tod fällt es uns immer noch schwer, Ricarda Huch zu beurteilen. Sie war keine Monarchistin, keine Demokratin und entschieden keine Nationalsozialistin. Dabei blieb die Schriftstellerin auch keineswegs neutral oder unpolitisch! Als erste deutsche, promovierte Historikerin galt sie vielen weiteren als Vorbild. In und mit ihren Werken setzte sie sich für Vielfalt, Freiheit und Gleichberechtigung ein. Werte also, die wir heute mit Demokratie in Verbindung bringen. Außerdem legte ihre Recherche den Grundstein für weitere Beschäftigungen mit Widerstandskämpfer:innen im Nationalsozialismus.

Entscheidend in der Rezeption Huchs ist also nicht nur ihre Selbstpositionierung, sondern vor allem, wofür und wie sie sich bis zu ihrem Tod engagierte. Geehrt wird sie dafür seit 1978 mit dem Ricarda-Huch-Preis der Stadt Darmstadt. Verliehen wird diese Auszeichnung alle drei Jahre an Personen aus der Wissenschaft, Politik, Literatur oder Kunst, die sich mutig für „die Ideale der Humanität und Völkerverständigung als Werte der historisch-kulturellen Identität der europäischen Gesellschaften“ einsetzen.

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Über uns 
Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin und arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

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