Demokratiegeschichten

Elly Heuss-Knapp und Theodor Heuss – Ein demokratisches Paar

Teil 1: Demokratisches Wirken vom Kaiserreich bis nach Weimar

Familienarchiv Heuss, Basel

Schwarzer Rahmen, weiße Reifen, strahlender Chrom – ein Traum von Freiheit auf zwei Rädern. Und darauf: Eine Frau in hochgeknöpftem schwarzem Kostüm. Der Hut auf dem Kopf und der lange Rock über dem Rahmen sehen dabei weder sportlich noch fortschrittlich aus. Und doch ist dieses Foto von 1897 das Zeichen eines gesellschaftlichen Aufbruchs. Heute würde sich niemand mehr über eine Frau auf dem Fahrrad wundern, höchstens vielleicht über so eine unpraktische Kleidung. Aber vor etwas über hundert Jahren war das noch anders: Frauen, die Fahrrad fuhren, galten damals als progressiv bis revolutionär.

Auf Elly Heuss-Knapp, die später erste First Lady der Bundesrepublik wurde, traf diese Fortschrittlichkeit zu. Sie gilt als ein Beispiel früher Emanzipation und Gleichstellung, gerade in der Beziehung mit ihrem Mann, dem späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss. Ebenso passt aber auch das hochgeknöpfte Kleid zu ihrer Biografie: Während sich Elly Heuss-Knapp an vielen Stellen für demokratische Verbesserungen und gesellschaftliche Reformen stark machte, vertrat sie gleichzeitig christliche Tugenden sowie ein Familien- und Frauenbild, die uns heute konservativ bis beengend vorkommen.

Bildung und Jugend im Kaiserreich

Als Tochter eines Professors für Nationalökonomie wächst Elly Knapp (*25. Januar 1881) in Straßburg in einem fortschrittlichen Umfeld auf. . Neben persönlichen Freiheiten wie Reisen und eben das (für damalige Zeit unerhört fortschrittliche) Fahrradfahren ermöglicht ihr Vater ihr auch eine berufliche Eigenständigkeit: Um Lehrerin zu werden, darf sie sogar für ein Studium der Volkswirtschaft ihren Heimatort verlassen. Dies ist alles ungewöhnlich für eine Zeit, in der Frauen häufig von ihrem Vater oder Ehemann bevormundet werden, sich auf Familie und Hausarbeiten beschränken müssen und ein reguläres Studium für Frauen ohnehin nur sehr eingeschränkt möglich war. Statt solcher Einschränkungen erlaubt ihr ihr Vater sogar 1905, nach Berlin zu gehen. Hier besucht Elly Knapp Vorlesungen und politische Kreise und lernt in einem dieser Kreise den schwäbischen Journalisten Theodor Heuss kennen.“

Theodor Heuss (*31. Januar 1884) wächst wie Elly Knapp mit einer bürgerlichen Bildung auf. Dazu kommt eine politische Prägung. Man erinnert sich noch immer an Urgroßonkel und Großvater, die beide in der Revolution von 1848 kämpften. Heuss‘ Vater Louis ist linksliberal, aber undogmatisch eingestellt und in der Kommunalpolitik aktiv. Im Hause Heuss gibt es zudem eine gut sortierte Bibliothek, die neben Klassikern der Aufklärung auch sozialkritische Schriften von Karl Marx oder Ferdinand Lasalle enthält. Theodor Heuss interessiert sich so früh für Politik, aber auch für Kunst, Literatur und Geschichte.

Ähnlich breit studiert er zunächst verschiedene Fachrichtungen, bevor er schließlich im soziopolitischen Fach der Nationalökonomie promoviert. Eine Verknüpfung seiner kulturellen und politischen Interessen eröffnet sich 1905, als ihm eine Stelle als Redakteur bei der Zeitschrift „Die Hilfe“ angeboten wird.

Kennenlernen im sozial-liberalen Kreis Friedrich Naumanns

Elly Knapp und Theodor Heuss werden beide bereits in jungen Jahren von den Positionen dieser Zeitschrift und ihres Herausgebers, Friedrich Naumann, angezogen. Naumann, ein ehemaliger protestantischer Pfarrer, gewinnt gerade unter jungen Leuten großen Einfluss durch seine Idee eines sozialen, national geprägten Liberalismus. Als Redakteur der „Hilfe“ setzt sich Theodor Heuss wie sein Mentor für die Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts sowie ein Bündnis zwischen liberalen und sozialdemokratischen Kräften ein, um das Kaiserreich demokratischer zu gestalten.

In Naumanns Haus lernen sich Elly Knapp und Theodor Heuss 1905 kennen. Trotz anfänglicher Zurückhaltung Elly Knapps entwickelt sich nach ihre Rückkehr ins Elsass einen intensiven Briefwechsel zwischen beiden. Neben Erzählungen aus Familie und Alltag diskutieren sie auch immer wieder die demokratischen Entwicklungen ihrer Zeit. So fordert Heuss einmal, seine Briefpartnerin solle eine persönliche Begegnung mit dem Prinzen August Wilhelm von Preußen nutzen, um „ein anständiges Wahlrecht“ bei ihm einzufordern.

Die Offenheit und Gleichberechtigung, die in dem Briefwechsel zwischen beiden mitschwingt, ist für die damalige Zeit außergewöhnlich. Ebenso außergewöhnlich ist es, dass Elly Knapp nach ihrer Hochzeit 1908 und vor allem nach der Geburt des Sohnes Ernst Ludwig 1910 weiterhin als Lehrerin, Autorin und Politikerin arbeitet und ihr eigenes Geld verdient. Theodor Heuss unterstützt seine Frau mit Korrekturarbeiten, verschafft ihr Vortragsmöglichkeiten und lässt ihr den Freiraum, neben den häuslichen Pflichten weiter beruflich aktiv zu sein. Umgekehrt unterstützt Elly Heuss-Knapp ihren Mann ebenfalls bei der Überarbeitung seiner Texte. Und sie akzeptiert später immer wieder einen Umzug, wenn sich für Theodor Heuss neue berufliche Chancen ergeben.

Elly Heuss-Knapps sozialreformerisches Engagement

Durch ihre Arbeit kommt Elly Heuss-Knapp früh in Kontakt mit der Frauenbewegung. Zusammen mit der Sozialreformerin Alice Salomon arbeitet sie an einer Ausstellung zur katastrophalen Lage von Heimarbeiterinnen. Sie scheut auch nicht davor zurück, mit Industriellen und Professoren soziale Missstände zu diskutieren. 1910 veröffentlicht sie das Buch „Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre für Frauen“, ein Leitfaden für den Unterricht. Dieser erscheint bis 1928 in acht Auflagen. Sie selbst sieht ihr vielfältiges Engagement allerdings später kritisch und schreibt 1934,

„es wäre richtiger gewesen, ich hätte Schreibmaschine gelernt, meinem Mann geholfen und selbst an der ‚Hilfe‘ mitgearbeitet“.

Elly Heuss-Knapp: Ausblick vom Münsterturm. Erinnerungen, Tübingen 71952, S. 85f.

Theodor Heuss erinnert sich später ebenfalls an die ambivalente Haltung seiner Frau gegenüber der Frauenbewegung:

„Es wäre natürlich falsch, grob zu sagen, das, was man ‚Frauenfrage‘ nannte, sei Elly Knapp gleichgültig gewesen. Aber das Dogmatische, das in jener Zeit herausgearbeitet wurde, interessierte sie gar nicht; sie fühlte sich hier von einem Menschen, um seiner Art willen, angezogen, dort war es ihr einerlei, welche ‚Verdienste‘ sich an einen Namen knüpften. Das habe ich ihr später manchmal zum mahnenden Vorwurf gemacht, sie sei, zweite Generation, gegenüber den Vorkämpferinnen undankbar; sie meinte dann: ‚Vielleicht.‘“

Theodor Heuss: Erinnerungen 1905-1933, Tübingen 1965, S. 106f.

Theodor Heuss beschreibt an gleicher Stelle seine eigene Einstellung zur „Frauenfrage“ als „bekenntnismutiger, rationalistisch-radikal“.

Elly Heuss-Knapp zweifelt an der Dogmatik ihrer Geschlechtsgenossinnen. Als Ehefrau und Mutter fremdelt sie mit der Radikalität und Non-Konformität mancher Aktivistinnen. Praktisch trägt sie die Gleichberechtigungsfrage jedoch auf vielen Feldern mit. 1919, als Frauen zum ersten Mal für ein politisches Mandat kandidieren dürfen, stellt sie sich wie ihr Mann zur Wahl. Den Einzug in die Weimarer Nationalversammlung erreichen sie beide nicht. Heuss kann erst 1924 in den Reichstag einziehen; seine Frau sogar erst 1946 in den württembergischen Landtag.

Einsatz in der Weimarer Demokratie

In der Zeit der Weimarer Republik zieht sich Elly Heuss-Knapp von politischen Tätigkeiten zurück und wendet sich immer mehr religiösen Aufgaben zu. Theodor Heuss betätigt sich als bürgerlicher Liberaler im Weimarer Reichstag. Als Parlamentarier ebenso wie als Publizist stellt er sich überzeugt hinter die Weimarer Demokratie und ihre Prinzipien.

Gleichzeitig scheint bei ihm an manchen Stellen auch ein konservativer Geist der wilhelminischen Epoche durch: 1926 unterstützt er ein umstrittenes Gesetz zum „Schutz der Jugend vor Schmutz und Schund“. Gemeint sind vor allem Groschenromane mit Piraten und Cowboys als Titelhelden. Während Heuss sein Gesetz als eine „Sozialpolitik der Seele“ verstanden wissen will, kritisieren prominente Schriftsteller wie Thomas Mann das Gesetz als elitäres Zerrbild einer bildungsbürgerlichen Hochkultur, das als Zensur missbraucht werden könnte. Elly Heuss-Knapp und Theodor Heuss widmen sich in dieser Zeit recht unterschiedlichen Betätigungsfeldern, die durchaus auch ideell voneinander abweichen können. „So hat jeder sein Steckenpferd. Aber“, so Elly Heuss-Knapp in einem Brief 1924: „wir vertragen uns doch gut in einem Stall.“

Zurückgedrängt von den Nazis

Aufgrund ihres demokratischen Engagements wird das Ehepaar Heuss bei der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten aus ihren bisherigen politischen und beruflichen Tätigkeitsfeldern gedrängt. 1932 hatte Heuss „Hitlers Weg“, ein vielbeachtetes Buch zum Aufstieg der Nazis geschrieben. Seine sachliche Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Programmatik umfasst darin auch die Kritik an deren menschenverachtender Ideologie. Allerdings glaubt er, der Nationalsozialismus könnte durch die Rechtmäßigkeit und politische Ordnung der Weimarer Republik überwunden werden. Als persönliche Verfehlung sieht er daher später auch nur in Maßen seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933. Nach 1945 auf diese Zustimmung angesprochen, laviert er und weist die Bedeutung dieser Entscheidung weitgehend von sich.

In den Monaten nach der Zustimmung verliert Theodor Heuss seine politischen Ämter; zwei seiner Schriften werden am 10. Mai 1933 bei der nationalsozialistischen Bücherverbrennung verbrannt. Auch Elly Heuss-Knapp kann ab 1933 aufgrund der Denunziation durch eine Schülerin nicht länger als Lehrerin arbeiten.

Neue Tätigkeitsfelder

Jetzt zeigt sich erneut, wie partnerschaftlich die Ehe von Elly Heuss-Knapp und Theodor Heuss funktioniert: Während sich ihr Mann auf das Schreiben von historisch-politischen Biografien und Zeitungsartikeln konzentriert, sorgt Elly Heuss-Knapp für den finanziellen Unterhalt der Familie. Dafür begibt sie sich auf ein für sie vollkommen neues Feld: Die Werbung. Für Marken wie Persil oder Erdal produziert sie Radio-Einspieler und Kinowerbung und setzt dabei auf neue, emotionalisierende Mittel. Ihr „akustisches Warenzeichen“, die Idee, durch dieselben Töne den Wiedererkennungswert eines Produktes zu steigern, ist ein Vorläufer des heutigen Werbejingles.

Mit diesen Erwerbsfeldern kann sich das Ehepaar Heuss finanziell über die Zeit des Nationalsozialismus und des Kriegs retten, politisch geraten sie jedoch weiter unter Druck. Theodor Heuss ist zwar kein ausgesprochener Widerständler, hält aber Kontakt zu verschiedenen Widerstandsgruppen. Es ist wahrscheinlich dem Einsatz seines Sohnes zu verdanken, dass er bis zuletzt nicht von den Nationalsozialisten verhaftet wird: Willi Hintze, ein Freund Ernst Ludwigs, lässt in der Gestapozentrale wichtige Unterlagen zu Heuss verschwinden. Ernst Ludwig selbst ist zu dieser Zeit im Widerstand aktiv. Und gegen Ende des Krieges sogar an einer spektakulären Befreiungsaktion von Mitkämpfern aus dem Gefängnis beteiligt.

Seine Eltern überredet Ernst Ludwig bereits 1943, Berlin zu verlassen, um bei Elly Heuss-Knapps Schwester in Heidelberg Zuflucht zu suchen. Damit entgehen sie der weiteren Verfolgung durch die Gestapo, den vielen Bombenangriffen auf Berlin und erleben am Neckar das Ende des Krieges 1945.

Weiterführende Literatur

  • Theodor Heuss. Briefe 1892-1917, hrsg. von Frieder Günther, München 2009
  • Elly Heuss-Knapp: Ausblick vom Münsterturm. Erinnerungen, Tübingen 71952
  • Theodor Heuss: Erinnerungen 1905-1933, Tübingen 1965
  • Elly Heuss-Knapp: Bürgerin zweier Welten – Elly Heuss-Knapp: ein Leben in Briefen und Aufzeichnungen, hrsg. Von Margarethe Vater, Tübingen 1961.

Maike Hausen ist Historikerin und betreute bis Mai 2021 bei der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus das Projekt „100 Köpfe der Demokratie“.

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