Demokratiegeschichten

Eugen Kogon – linker Intellektueller mit rechter Vergangenheit

Eugen Kogon zu bewerten ist in gleich mehrerlei Hinsicht sehr kompliziert. Erstens ist es schwer zu entscheiden, wie man Kogon in seinem Schaffen beschreiben soll. Zuviel könnte einem da einfallen: Journalist, Autor, Hochschullehrer, Fernsehmoderator, Intellektueller, Parteipolitiker, Friedensaktivist, Nationalist, Europäer, Verfechter eines autoritären Ständestaats, Sozialist, Demokrat, Katholik. Das wären nur einige der Etiketten, die man an Kogon anbringen könnte. Keine wäre gänzlich falsch.

Zweitens haben wir es mit einem Leben zu tun, das ähnlich viele Brüche vorzuweisen hat wie das vergangene Jahrhundert selbst. Sich mit Kogon auseinanderzusetzen, gibt das Gefühl, nicht nur zu einer Person, sondern gleich zu mehreren zu arbeiten. Das hatte einerseits mit den enormen Wandlungen zu tun, die er im Deutschland des 20. Jahrhunderts durchlebte, aber auch mit der Sprunghaftigkeit, die bei ihm ein wesentlicher Charakterzug war.

Drittens ist es das Verborgene, ja das Geheimnisvolle seiner Biographie, die eine Einschätzung schwer macht. In der frühen Bundesrepublik wurde Kogon zu einem der wichtigsten linken Intellektuellen. Manche sahen in ihm gar ein Gewissen der Nation. Vor diesem Hintergrund ist es umso spannender, dass Kogons Vergangenheit in der Zwischenkriegszeit bisher nur wenig betrachtet wurde. Er selbst ließ auch manche Teile seiner Biographie im Ungenauen und Unbekannten.

Alles in allem ist Eugen Kogon in vielerlei Hinsicht ein Spiegelbild des 20. Jahrhunderts, welches man einmal genauer untersuchen sollte.

Kindheit, Jugend und Studium

Kogon kam am 2. Februar 1902 zur Welt. Er selbst schrieb einige Male, dass seine früh verstorbene Mutter Jüdin gewesen sei. Einen eindeutigen Beleg dafür gibt es meines Wissens nach aber nicht. Er wuchs bei einer katholischen Pflegefamilie auf und ging in einem Internat der Dominikaner zur Schule. Diese Zeit prägte ihn für sein Leben. Er dachte zeitweise über einen Eintritt in den Orden nach, entschied sich aber dagegen. Trotz einer wachsenden Distanz zur Amtskirche blieb er bis zu seinem Tod dem christlichen Glauben eng verbunden.

Kruckenkreuz, Symbol der austrofaschistischen Vaterländischen Front und des von ihr regierten Ständestaates.

Er studierte in München und Florenz. Es folgte eine Promotion in Wien bei Othmar Spann im Fachbereich Soziologie. Meist ist es nicht sonderlich wichtig in diesem Blog, bei wem die beschriebenen Personen studiert haben. Hier ist es anders. Spann war ein bekannter Intellektueller und Vordenker des „Austrofaschismus“, einer Form eines klerikal geprägten, autoritären Ständestaats. Diese Ideologie verurteilte ausdrücklich die beiden großen politischen Ideologien des 19. Jahrhunderts, den Liberalismus und den Sozialismus, und war eng mit sozialkonservativen Vorstellungen des Katholizismus verbunden.

Arbeit in der „Schöneren Zukunft“

In den Folgejahren wuchs Kogon immer mehr in diese Gedankenwelt hinein. Schon zuvor hatte er in verschiedenen Zeitungen und Magazinen Artikel veröffentlicht. 1927 erhielt er schließlich eine Stelle bei der „Schönere Zukunft“, einem katholischen Wochenblatt, welches die autoritären Grundthesen des späteren Austrofaschismus ausdrücklich unterstützte. Erst arbeitete er zu Kulturthemen, aber bald schon machte er Karriere, schrieb zu einem breiten Themenspektrum und wurde schließlich stellvertretender Schriftleiter, also stellvertretender Chefredakteur.

Kogon führte auch in seinen Texten die Linie des Blattes fort. Regelmäßig schrieb er über die Vorzüge des faschistischen Systems und erklärte wiederholt, warum eine Mehrparteien-Demokratie nicht funktionieren könne. In seiner Darstellung kamen die italienischen Faschisten meist überaus gut weg. Seine Sicht auf Deutschland war eine andere. Als Verfechter des Austrofaschismus misstraute er immer mehr den Entwicklungen in Deutschland und lehnte den Nationalsozialismus im Wesentlichen ab. Als Gegner der Nazis wurde er Mitte der 30er Jahre bei Aufenthalten in Deutschland zweimal kurzzeitig festgenommen.

Haft in Wien und Buchenwald

1934 verließ er die „Schönere Zukunft“ und arbeitete nun als Vermögensverwalter des Adelsgeschlechtes Sachsen-Coburg-Kohary. Mit dem „Anschluss“ Österreichs wurde die Situation für Kogon gefährlich. Er versuchte in die Tschechoslowakei zu fliehen, aber nahe der Grenze wurde er aufgegriffen und verhaftet. Man brachte ihn in ein Wiener Gefängnis. 1942 wurde er schließlich nach Buchenwald gebracht und verblieb in dem Konzentrationslager bis zum Kriegsende.

File:Buchenwald--KZ-Tor.jpg - Wikimedia Commons
Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald; Foto; Andreas Trepte ./CC BY-SA 2.5 DEED

Hier unterscheiden sich wieder die Berichte Kogons von dem aktuell Beweisbaren. Kogon schrieb, dass er aufgrund seiner jüdischen Mutter in Gefahr war und in die Vernichtungslager in Osteuropa gebracht werden sollte. Belegbar ist nur, dass er bis Kriegsende als politischer Häftling in Buchenwald blieb. Dort freundete er sich mit anderen Inhaftierten an. Insbesondere zum ehemaligen Zentrumspolitiker Werner Hilpert baute er eine Freundschaft auf.

In Buchenwald fand eine grundlegende Wandlung der politischen Haltung Kogons statt. Er, der früher autoritäre rechte Kräfte in Österreich unterstützt hatte, fand zum Sozialismus. Der Schritt mag kleiner gewesen sein als er auf den ersten Blick zu sein scheint, da gerade der Austrofaschismus sich stets einer der Solidarität verpflichteten Sozialpolitik verschrieben hatte. In Buchenwald wurde er nun Befürworter der Idee eines „christlichen Sozialismus“, die man auch bei anderen frühen CDU-Politikern wie Karl Arnold, Jakob Kaiser oder Leo Schwering finden konnte.

Autor und Politiker

Seine Nachkriegskarriere begann noch in Buchenwald. Die amerikanischen Befreier versuchten zu verstehen, wie Buchenwald als Konzentrationslager funktioniert hatte, und baten Kogon, einen Bericht zu verfassen. Aus diesem Bericht wurde schließlich Kogons erfolgreichstes Buch „Der SS-Staat“ (1946). In den darauffolgenden Jahren war Kogon einer der bedeutendsten Experten vor Gericht, wenn es um die Aufarbeitung von NS-Verbrechen ging.

Eugen Kogon sagt für die Anklage im Buchenwald-Process, Dachau, aus; 16.04.1947.
USHMM Photograph #28962, Foto: Technical Sergeant Chambers/Wikimedia.

Kogon und seine Familie zogen in den Taunus. In Frankfurt traf er wieder auf seinen früheren Mithäftling Werner Hilpert, der mit anderen Mitgliedern des christlichen Widerstandes und früheren Zentrumsfunktionären die CDU in Frankfurt gründete, die ähnlich wie Kogon links der Mitte stand und sich für Verstaatlichungen der Schlüsselindustrien und einen Sozialismus christlicher Prägung einsetzte. Kogons aktive Zeit als Parteipolitiker dauerte nur wenige Monate.

„Frankfurter Hefte“

File:Frankfurter-Hefte-12-1979-b.jpg
Foto: gemeinfrei

Schon bald fokussierte er sich vor allem auf seine Arbeit in den „Frankfurter Heften“. Diese entstanden aus der Zusammenarbeit mit einem anderen Frankfurter Linkskatholiken, dem Journalisten Walter Dirks. Gemeinsam gründeten sie die Wochenzeitschrift „Frankfurter Hefte“, die in den späten 40er Jahren zu einem der bedeutendsten politisch-kulturellen Blätter in den Westzonen wurden. Hier publizierten Journalisten und Intellektuelle zur Entwicklung Deutschlands und Europas. Aber auch eine starke katholische Prägung ließ sich nicht verhehlen. So zählte zu den regelmäßigen Autoren der bedeutende katholische Theologe Romano Guardini.

Gegen die Adenauer-Regierung

Das Verhältnis Kogons zur Regierung Adenauer war stets ein gespanntes. Mit den Jahren wurde es aber immer schlimmer. Kogon war ein vehementer Gegner der Bindung Europas an die USA. Er unterstützte die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und auch die deutsche Wiederbewaffnung, da er dachte, dass diese die NATO überflüssig machen würden. In seiner Vorstellung musste Europa einen dritten Block zwischen dem kommunistischen Osten und dem kapitalistischen Westen bilden. Als die Adenauer-Regierung einen anderen Weg verfolgte, wandelte sich Kogon zu einem offenen Gegner der Bundesregierung bis hin dazu, dass er Adenauer wiederholt die moralische Eignung für sein Amt absprach.

Kogon und die Europa-Union

Ein weiteres Standbein für Kogon war sein Engagement für die europäische Einigung. Kogon nahm bereits nach Kriegsende an den ersten großen Konferenzen zur europäischen Einigung teil und in seinen Schriften spielt das Thema eine sehr große Rolle.

1949 wurde Kogon zum Präsidenten der Europa-Union gewählt, des größten überparteilichen proeuropäischen Verbandes in Deutschland. Das Thema und die Europa-Union waren ihm ohne Zweifel wichtig. Jedoch zeigen die Protokolle der Vorstandssitzungen auch, dass Kogon aufgrund anderer Verpflichtungen häufig nicht anwesend war. Außerdem kam die Europa-Union unter seiner Präsidentschaft in schwere Finanzschwierigkeiten, was auch zu Kogons Abschied aus der Präsidentschaft des Verbandes führte. In ähnliche Schwierigkeiten kamen auch die „Frankfurter Hefte“. Sie konnten aber durch großzügige Förderungen aus den Gewerkschaften am Leben gehalten werden.

Seinen Lebensunterhalt verdiente Kogon aber in erster Linie als Hochschullehrer. 1951 wurde er auf eine Professur für Wissenschaftliche Politik an der TH Darmstadt berufen. Forschung im eigentlichen Sinn betrieb er keine. Als Dozent und Betreuer von Promotionen und Habilitationen war er jedoch sehr beliebt. Weiterhin übernahm er für viele Jahre den Vorsitz der Vereinigung der deutschen Politikwissenschaftler.

Fernsehen und Lebensabend

Eugen Kogon während der Kieler Universitätstage 1970 an der
Christian-Albrechts-Universität; Foto: Magnussen, Friedrich/ CCBY-SA 3.0 DEED.

Mitte der 60er Jahre eröffnete sich für Kogon eine weitere Karriereoption. Er übernahm die Leitung der Redaktion des noch heute existierenden ARD-Politikmagazins „Panorama“. Kurze Zeit danach stand er auch regelmäßig als Moderator der Sendung vor der Kamera.

Nach weniger als einem Jahr beendete er aber die Arbeit im Fernsehen, da er der ARD vorwarf, zu sehr den Leitlinien der CDU-geführten Bundesregierung zu folgen.

Für die Studentenbewegung und später in der beginnenden Friedensbewegung engagierte sich Kogon im großen Umfang, was auch zu seiner noch heute großen Popularität im linken und linksliberalen Spektrum maßgeblich beitrug.

Seinen Lebensabend verbrachte Kogon in seiner hessischen Wahlheimat in Königstein. Hier starb er am Heiligen Abend 1987.

Eugen Kogon – Höhen und Tiefen eines Lebens

Dieser schnelle Ritt durch die Biographie Eugen Kogons zeigt auch nur einen Teil der Vielfältigkeit seines Lebens und der Sprunghaftigkeit seines Charakters. Wir haben es mit einem Mann zu tun, der im Guten wie im Schlechten ein Überzeugungstäter war und stets für das einstand, von dem er überzeugt war. Jemandem, der viel begann, aber auch so manches unvollendet ließ.

Oft werden Leute als Überzeugungstäter beschrieben, die Zeit ihres Lebens einer Sache oder einer Agenda treu blieben. Bei Kogon ist genau das Gegenteil der Fall. Wie sein Engagement war auch sein Leben von Gegensätzen erfüllt. Mit diesen setzte er sich öffentlich aber kaum auseinander. Das ist erst einmal nicht selten. Viele Deutsche schwiegen lieber darüber, was sie während des Krieges gemacht hatten. Kogon schwieg aber insbesondere dazu, was er vor dem Krieg gemacht hatte.

Wieder zurück zum Anfang kommend, ist es schwer, ein abschließendes Urteil über Kogon zu fällen. Kogon war ohne Frage einer der vielseitigsten und prägendsten Intellektuellen der frühen Bundesrepublik. Sein Engagement für Europa ist nicht zu unterschätzen und vielleicht ist es gerade diese Kombination aus Widersprüchen, Ecken und Kanten mit Stärken und Fehlern, die ihn in unserer oft widersprüchlichen Zeit zu einer Person macht, die es verdient beachtet zu werden.

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Über uns 
Björn Höfer ist Mitglied von Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. und promoviert in St Andrews und Potsdam im Bereich "Politischer Katholizismus zwischen Weimar und Bonn".

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