Demokratiegeschichten

„Fremd im eigenen Land“ – Rechtsextreme Anschläge in den 1990er Jahren I

In Demokratien gibt es eine breite Vielfalt an Meinungen und Einstellung. Auch extremistische Positionen, die etwa Menschen mit Migrationsgeschichte ihre Rechte aberkennen möchten und sie nicht als Teil der Gesellschaft akzeptieren, finden sich. Im schlimmsten Fall führen diese Überzeugungen zu gewalttätigen Handlungen. Wie gehen demokratische Gesellschaften mit solchen extremistischen Positionen und Taten um?

Rechtextremistische Gewalt in Ost und West

Der Beginn der 1990er Jahre ist geprägt von einem Höhepunkt rassistischer Gewalt, die die gerade erst wiedervereinigte Bundesrepublik erschütterte. Die Wiedervereinigung kann als verstärkender Faktor für die nationalistischen Gewaltexzesse gesehen werden.  Wichtig ist jedoch, die Anschläge auch in die Kontinuität rassistischer Gewalt der 70er und 80er einzubetten und zu verstehen.

Denn beide deutsche Staaten waren sowohl durch Arbeitsmigration als auch durch rassistische Diskurse und Gewalttaten geprägt. In der DDR kam es bereits 1975 zu mehrtägigen Ausschreitungen gegen algerische Arbeitsmigrant*innen sowie am 12. August 1979 zum gewaltsamen Tod der beiden Kubaner Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret. In der Bundesrepublik gelten Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu, die 1980 ermordet wurden, als die ersten dokumentierten Todesopfer rassistischer Gewalt in der Nachkriegszeit.

„Baseballschlägerjahre“

Das sogenannten Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, wo rechtsextreme Randalierer*innen im August 1992 Menschen mit Migrationsgeschichte angriffen. Qelle: CC BY-SA 3.0 DEED

Die Namen der Orte von Gewaltexzessen und Brandanschlägen sind heute zu Synonymen einer Zeit geworden, die oft als „Baseballschlägerjahre“ bezeichnet wird. Im sächsischen Hoyerswerda versammelten sich ab dem 17. September 1991 mehr als hundert Gewalttäter*innen, die Unterkünfte von geflüchteten Menschen und Arbeitsmigrant*innen angriffen.  Die brutalen Ausschreitungen wurden von Schaulustigen begleitet. Gleichzeitig markieren sie den Beginn einer gesamtdeutschen, medialen Öffentlichkeit, die nun vermehrt Notiz von dem eklatanten Anstieg „fremdenfeindlicher Gewalt“ nahm.

Zwischen dem 22. und 26. August 1992 folgte das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen bei dem abermals mehrere hundert teilweise rechtsextreme Randalierer*innen Menschen in einem Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen sowie in der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) angriffen. Am dritten Tag steckten sie die Gebäude in Brand, auch hier begleitet von mehreren Tausend applaudierenden Zuschauer*innen.

Am 23. November 1992 dann kam es in Mölln zum Brandanschlag auf das Haus der Familie Arslan bei dem die 10-jährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayşe Yılmaz und die 51-jährige Bahide Arslan getötet und weitere Familienmitglieder schwer verletzt wurden. Dem tödlichen Brandanschlag vorausgegangen war ein weiterer Angriff auf ein in der Nähe gelegenes Haus. Darin wohnten Menschen türkischer Herkunft, von denen neun schwere Verletzungen erlitten. Am 28. Mai 1993 verübten rechtsradikale Täter einen Mordanschlag auf ein Einfamilienhaus in Solingen bei dem sechs Menschen starben.

Alltägliche Angst

Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen. Diese vier Ortsnamen sind es, die exemplarisch die rassistischen Ausschreitungen, Gewalttaten und Morde der ersten Hälfte der 90er-Jahre beschreiben. Was sie nicht näher beschreiben, sind die Leiderfahrungen, die Trauer und die Traumata der betroffenen Menschen.

Solidaritätsdemonstrationen in Solingen am Tatort des Brandanschlags im Juni 1993. Quelle: Sir James, CC BY-SA 2.0 DE DEED

Ebenso beschreiben sie nicht die alltägliche Angst vieler migrantischer oder migrantisierter Menschen in Deutschland, das nächste Opfer zu werden oder das Gefühl, im eigenen Land nicht erwünscht zu sein. Die Brandanschläge und Ausschreitungen hatten auf sie einen nachdrücklichen Einfluss und zeigen sich an verschiedenen „alltäglichen“ Umgangsweisen mit dieser Angst. In der kollektiven Erinnerung an die 1990er-Jahre, vor allem in der der Mehrheitsgesellschaft, sind sie aber wenig präsent:

Der Verkauf von Brandmeldern und Strickleitern stieg, Familien schickten ihre Kinder aus der Stadt zu Verwandten, dachten über eine Rückkehr in die Türkei nach oder verließen das Land tatsächlich. Sie legten ihre Kinder nachts angezogen schlafen, ließen sie nur noch ungern vor die Tür und begegneten dem kollektiven Schutzgedanken des Staates mit wachsendem Misstrauen.

Franka Maubach: Mölln, Solingen und die lange Geschichte des Rassismus in der Bundesrepublik

Vom Staat alleingelassen

Viele fühlten sich vom demokratischen Staat schlicht nicht geschützt. So etablierten sich vielfältige Formen der Selbstverteidigung und zum Schutz der eigenen Familie. Neben Strickleitern in Wohnungen, um jederzeit fliehen zu können, organisierten sich viele Hausbewohner*innen. So bildeten sich Stadtteilgruppen, die versuchten, die eigenen Häuser oder Viertel zu bewachen.

Manche verteidigten sich gewaltvoll gegen rechte Gruppierungen. Auch kam es kam zu Demonstrationen, während derer sich zum Teil auch Gewalt entlud. Bereits Ende der 80er-Jahre entstand die Antifa Gençlik. 1988 in Berlin  gegründet, organisierten sich hier „antifaschistische, migrantische Jugendliche im Widerstand gegen Faschismus und faschistische Gewalt.“

Flucht in die Kunst

Eine weitere Reaktion auf die rassistischen Übergriffe zu Beginn der 90er-Jahre, war ihr Aufgreifen und das Thematisieren von Frust, Angst und Fremdheitsgefühl in Sub- und Jugendkultur. So geschehen vor allem im Hip-Hop. Bereits 1992 beschrieben etwa Advanced Chemistry in einem Lied mit dem programmatischen Titel „Fremd im eigenen Land“ das Gefühl einer ganzen Generation.

Obwohl in Deutschland geboren, oft als Kinder oder Enkelkinder sogenannter Gastarbeiter*innen, wurden sie von der Mehrheit der Gesellschaft nach wie vor als „Ausländer*innen“ wahrgenommen und machten Erfahrungen von alltäglichem Rassismus. Die kulturelle Bearbeitung der Thematik stellte gleichzeitig einen Wandel an Sichtbarkeit eben jener angegriffenen Communities mit Migrationsgeschichte dar. Die Erfahrungen junger Menschen standen im Mittelpunkt, der Song gab ihnen eine Stimme und konnte dadurch auch empowern. In ihm drückt sich auch ein neues Selbstbewusstsein aus, wie die Soziologin Katharina Warda es formuliert, ein „narrativer Wandel vom Objekt zum Subjekt“.

Teil II dieses Beitrags erscheint am 30. November hier.

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