Demokratiegeschichten

Gefühlte Geschichte

Es klingt eher nach einer olympischen Disziplin als nach einer neuen Ausstellung: 100 Jahre Geschichte anhand von 20 Gefühlen erzählen. Pro Gefühl ein Plakat. Pro Plakat sieben Fotos mit kurzen Bildunterzeilen und ein Haupttext, der nur 1000 Zeichen lang sein darf. Bettina und Ute Frevert ließen sich auf dieses Abenteuer ein. Die beiden Autorinnen zeigen mit der Ausstellung „Macht der Gefühle. Deutschland 19 | 19″, welche Auswirkungen Emotionen in Geschichte und Politik haben. Dabei gehen sie von aktuellen oder zeitlich noch nicht lange zurückliegenden Ereignissen aus, wie z. B. dem „Dieselgate“ oder dem „Sommermärchen“.

Zum Beispiel Angst

Die Plakate sind alphabetisch sortiert. Das erste Gefühl, das mir begegnet, ist Angst. Das überrascht mich nicht. Gerade hat der Historiker Frank Biess ein ganzes Buch über die „Republik der Angst“ geschrieben. Darin erzählt er, welche Sorgen und Ängste Deutschland nach 1945 prägten, aber auch vorantrieben.

In der Ausstellung beginnt die Geschichte mit der Angst vor der Inflation auf einem Wahlplakat des Jahres 1924. Dann ein Foto aus der Pogromnacht im November 1938. In jener Nacht wurde Todesangst verbreitet. Ein weiteres Foto thematisiert die Angst vor einem Atomkrieg und die Angst nach dem Super-GAU im Kernkraftwerk Tschernobyl 1986. Im November 1989 dann die Überwindung der Angst in der Friedlichen Revolution. Schließlich ein Cover des SPIEGELS von 2006, das auf die Angst vor den Folgen des Klimawandels hinweist.

Zum Beipiel Empathie

Ich vermisse das positive Gegengefühl zur Angst, den Mut. Aber dafür finde ich ein Plakat zur Empathie. Das Hauptfoto darauf aus dem Jahr 2015 zeigt ein Büfett für Geflüchtete im Flensburger Bahnhof. Chronologisch beginnt das Plakat aber bei Bischof Clemens von Galen, der sich gegen den in der NS-Zeit praktizierten Mord an Patient*innen einsetzt. Ihm folgt die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, die in ihren Flugblättern die NS-Verbrechen und die mitleidlose „Volksgemeinschaft“ thematisiert. Weitere Fotos zeigen die Ausgabe von „CARE“-Paketen 1949, ein kirchliches Plakat von 1966, das zur Nächstenliebe gegenüber Arbeitskräften aus dem Ausland aufruft. Außerdem einen Klagegottesdienst in Ostberlin nach der gewaltsamen Niederschlagung der Studentenproteste in China im Juni 1989 und das Gedenken an eines der Opfer der rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU im Jahr 2013.

Viele Fragen

Die Fotos lösen bei mir sofort ein Kopfkino aus. Welche Bilder fallen mir noch ein, die zu diesem Gefühl passen? Welches Bild passt auf den ersten Blick nicht? Die Anregungsfunktion der Ausstellung funktioniert. Gerne würde ich die Autorinnen fragen: Warum genau dieses Bild? Welche Fotos kamen noch in die engere Auswahl? Welche sind weggefallen? Standen die 20 Gefühle gleich fest oder wurde um einzelne Emotionen gerungen?
Ich bin sehr gespannt, wie die Ausstellung angenommen und wie damit gearbeitet wird.

Einsatz im In- und Ausland

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ haben als Herausgeberinnen mehrere tausend Exemplare der Ausstellung drucken lassen. Diese können in Schulen, Rathäusern, Stadtbibliotheken, Kirchen und anderen öffentlichen Gebäuden aufgehängt werden.

Auf einer Homepage steht didaktisches Material zum Download bereit. Außerdem findet sich dort ein Trailer zur Ausstellung. Durch eine Kooperation mit dem Auswärtigen Amt und dem Goethe-Institut ist die Ausstellung in mehreren Sprachen erhältlich und steht auch für die Kulturarbeit im In- und Ausland zur Verfügung.

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Über uns 
Dennis R. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

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