Demokratiegeschichten

Robert Havemann: Ein demokratischer Kommunist

Nazi-Gegner, Stasi-Spitzel, Oppositioneller und Wissenschaftler – Robert Havemann war eine Person mit vielen Gesichtern. Heute vor 40 Jahren starb er. Was von ihm in Erinnerung bleibt ist vor allem seine Rolle als zweifacher Widerstandskämpfer – gegen die Nationalsozialisten und gegen den Machtapparat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Nach seiner anfänglichen Unterstützung des DDR-Systems setzte sich der bekennende Kommunist ab Ende der 1950er Jahre für eine Demokratisierung ein. Dieses Engagement hatte weitreichende Folgen. Trotz staatlicher Unterdrückung verschaffte er sich im Westen und bei ostdeutschen Oppositionellen Gehör. Damit gilt er bis heute als ein wichtiger Wegbereiter der Friedlichen Revolution.

Wissenschaft und Widerstand

Robert Havemann wurde 1910 in München geboren. Unter den Nationalsozialisten begann er in Berlin seine glänzende Karriere als Chemiker. Dabei beteiligte er sich auch an der Entwicklung von Giftgas. Zeitgleich engagierte sich Havemann bereits zu Beginn der 1930er Jahre bei der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

Havemann war überzeugter Marxist. Im Kommunismus sah er die Zukunft des Landes und das beste Mittel gegen den Faschismus. Mit dieser Haltung schloss er sich 1933 der Gruppe „Neu Beginnen“ an, einem Zusammenschluss aus oppositionellen SPD- und KPD-Mitgliedern. Ihr Hauptanliegen: Die Vereinigung der Arbeiterbewegung und der Sieg über die Nationalsozialisten. Als die Gruppe 1935 von der Gestapo entdeckt und aufgelöst wurde, blieb Havemanns Beteiligung zunächst unbekannt.

Acht Jahre später, 1943, gründete er schließlich gemeinsam mit befreundeten Oppositionellen eine neue Widerstandsgruppe. Die „Europäische Union“ pflegte Kontakte zu Zwangsarbeiter:innen im Deutschen Reich und versuchte Jüd:innen vor der Deportation zu retten. Bereits ein halbes Jahr nach der Gründung kam die Gestapo auch der Widerstandsgruppe „Europäische Union“ auf die Schliche. Diesmal entkam Havemann der Verhaftung nicht. Gemeinsam mit seinen Mitgründer:innen und weiteren Mitgliedern der Gruppe wurde er zum Tode verurteilt.

Mit seinen als „kriegswichtig“ erachteten Forschungen und durch das Engagement anderer Wissenschaftler überlebte Havemann. Sein Urteil wurde mehrmals aufgeschoben. 1945 wurden er und seine Mitgefangenen, darunter der spätere SED-Generalsekretär Erich Honecker, letztendlich durch die einmarschierende Rote Armee befreit.

Leben nach der Haft

Als ehemaliger Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten und begabter Naturwissenschaftler erwarteten Havemann nach Kriegsende rosige Aussichten für seine weitere Laufbahn. Im Juli 1945 wurde er Leiter der Kaiser-Wilhelm-Institute in Berlin-Dahlem. Ein Jahr später hielt er erste Vorlesungen an der neu gegründeten Humboldt-Universität im östlichen Teil der Stadt.

Parallel dazu warb Havemann für den Aufbau eines neuen Staates unter sozialistischen Vorzeichen. Seine Kritik richtete sich derweil gegen die westlichen Besatzungsmächte. So wurde er 1950 aus den Kaiser-Wilhelm-Instituten im amerikanischen Sektor Berlins entlassen, nachdem er deren Pläne zur Entwicklung einer Wasserstoffbombe öffentlich kritisiert hatte. Daraufhin siedelte Havemann in den sowjetischen Sektor Berlins um und begann eine Stelle als hauptamtlicher Professor und Institutsleiter an der Humboldt-Universität.

Der Regime-treue Havemann

In Ost-Berlin schien Havemann während der 1950er Jahre zunächst politisch angekommen zu sein. Von 1948 bis 1963 war er Abgeordneter des deutschen Volks-Kongresses beziehungsweise der späteren Volkskammer der DDR. 1951 trat er der SED bei. Darüber hinaus beteiligte sich Havemann innerhalb seiner universitären Stellung maßgeblich an Maßnahmen zur Unterdrückung von Regime-Gegner:innen.

1953 engagierte er sich beispielsweise an einer Kampagne gegen die Junge Gemeinde. In persönlichen Gesprächen übte der ehemalige Widerstandskämpfer im Sinne seiner Partei Druck auf christliche Studierende aus. Einige wurden exmatrikuliert. Auch seine Kolleginnen und Kollegen gerieten durch Havemann ins Fadenkreuz des Regimes. Als geheimer Mitarbeiter der Staatssicherheit bespitzelte er Wissenschaftler:innen, an deren politischer Linie Zweifel geäußert wurden. Auch westdeutsche Forscher:innen sollte er unter dem Decknamen „Leitz“ bedrängen und von dem System der DDR überzeugen.

Ein Spitzel wird bespitzelt

Nach einem knappen Jahrzehnt, in dem sich Havemann am Aufbau der DDR und seinem strengen Staatsapparat beteiligte, geriet seine Positionierung zu jenem System ins Wanken. Weiterhin überzeugter Sozialist begann er ab 1956 in Vorträgen, Diskussionen und Artikeln die eingeschränkte Freiheit der Wissenschaften und der einzelnen Bürger:innen in den sowjetisch dominierten Staaten anzuprangern. Darüber hinaus bewertete er die Aufstände in Polen und Ungarn 1956, die unter anderem mit dem Ruf nach einer größeren Unabhängigkeit von der Sowjetunion einhergingen, vor anderen Parteimitgliedern positiv.

So wurde aus dem Spitzel der Staatssicherheit schließlich selbst ein Verdächtiger. 1963 wurde Havemann aus seinem Dienst bei der Staatssicherheit entlassen. Im Folgejahr begann die Operation „Leitz“. Nur verbarg sich dieses Mal unter dem Namen seine eigene heimliche Überwachung.

Offene Kritik und offene Repressionen

Zeitnah zu seiner Entlassung bei der Staatssicherheit, die ebenso wie seine vorherige Beschäftigung geheim blieb, verlor Havemann 1963 seinen Sitz in der Universitätsleitung. Im darauf folgenden Wintersemester 1963/64 bestärkte er jedoch seine Forderungen nach einer freieren Gesellschaft und trug sie in einer viel besuchten Vorlesungsreihe unter dem Titel „Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme“ vor. Darauf folgte die fristlose Entlassung aus der Universität 1964. Ein weiteres Jahr später verlor er auch seine Arbeitsstelle an der Akademie der Wissenschaften. Im Folgejahr erhielt Havemann schließlich das vollständige Berufsverbot als Hochschullehrer und Forscher.

Trotz der offenen Repressionen und der öffentlich verkündeten „politisch-ideologischen Zerschlagung und Isolierung Havemanns“ durch die SED, schrieb er bis zu seinem Lebensende kritische Texte. Auch der Kreis der Oppositionellen um Havemann wuchs weiter an.

Die gescheiterte Isolierung

Ab Ende der 1960er Jahre setzte sich Havemann im In- und Ausland mit linken Regime-Kritiker:innen der DDR und der Sowjetunion in Kontakt. 1968 lobte er auch ausdrücklich den Prager Frühling und kritisierte seine Niederschlagung. Zudem bekannte er sich in westdeutschen Medien, unter anderem mit Artikeln wie „Ja, ich hatte unrecht.“ (1965), zu seiner Abkehr vom Stalinismus und beleuchtete seine vorherigen Tätigkeiten kritisch. Innerhalb der DDR freundete sich Havemann weiterhin mit bekannten, oppositionellen Kunst- und Kulturschaffenden wie dem Schriftsteller Jürgen Fuchs und dem Liedermacher Wolf Biermann an. Derweil wurde sein Haus in Grünheide bei Berlin zu einem beliebten Treffpunkt unter Regime-Gegner:innen bis zum Ende der DDR. So wurde es noch Jahre nach seinem Tod Gründungsort der Widerstandsgruppe „Neues Forum“, aus der 1990 die Robert-Havemann-Gesellschaft hervorging.

Mit seinem Protest gegen die Ausbürgerung Biermanns 1976 überschritt Havemann schließlich eine rote Linie. Daraufhin wurden er und seine Familie bis Mai 1979 unter Hausarrest gestellt. Geschmuggelte Tonbänder und Schriftstücke ermöglichten es ihm dennoch weiter zu publizieren. Seine Schriften und Tonaufnahmen wurden in der BRD veröffentlicht. Als sein Hausarrest 1979 schließlich aufgehoben wurde, erhielt Havemann eine Geldstrafe von 10.000 Mark für die bisherigen Veröffentlichungen. Sein Engagement führte er jedoch fort.

Letzte Jahre und Ehrungen

Mit Beginn der 1980er Jahre engagierte sich der bereits schwerkranke Havemann für die polnische Prostest- und Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc. Zeitgleich schloss er sich der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR an. Neben bekannten Regime-Gegner:innen wie Gerd Poppe und Bärbel Bohley arbeitete er vor allem mit dem kritischen Pfarrer Rainer Eppelmann zusammen. 1981 schrieben sie Briefe an Honecker und Breschnew in denen sie gegen Aufrüstungen und Kernwaffen protestierten. Auch diese beiden Briefe wurden in Westdeutschland öffentlich herausgegeben. Ein Jahr später veröffentlichen beide den bekannten „Berliner Appell“, welchen auch Westdeutsche unterzeichneten. Darin plädierten Havemann, Eppelmann und die Unterzeichner:innen für gemeinsame Verhandlungen zwischen der BRD und DDR über den Abzug jeglicher Atomwaffen im geteilten Deutschland. Wenige Monate nach dem Erscheinen des Appells, am 9. April 1982, starb Robert Havemann. An seiner Beerdigung nahmen über hundert Menschen teil.

Im November 1989 wurde Havemann von der Zentralen Parteikontrollkommission der SED öffentlich rehabilitiert. Dabei wurden seine kritischen Forderungen für weitreichende Reformen und mehr demokratische Rechte als vorbildlich und für seine Lebenszeit fortschrittlich geehrt.

Auch sein Andenken als Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten wurde im neuen Jahrtausend hervorgehoben. In der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem erhielt Robert Havemann gemeinsam mit seinen Mitstreiter:innen 2005 posthum den Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“.

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Über uns 
Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin und arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

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