Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord: Antirepublikanische Stimmungsmache in der Provinz: der Reichslandbund

Am 1. Juni 1922 berichtet die „Karlsruher Zeitung“ von einer Tagung des Landwirtschaftsrates. Hauptsächlich habe man über das Getreideumlageverfahren diskutiert, das Abgabemengen für die Landwirte im Deutschen Reich festlege. Das soll sicherstellen, dass sich die Stadtbevölkerung zu vertretbaren Preisen mit Lebensmitteln versorgen kann. Der Reichsernährungsminister Anton Fehr stellt fest:

Originaltitel: Abgeordneter Fehr kandidiert an Stelle Schieles für das Ernährungsministerium, 1924, Quelle: Bundesarchiv Bild 102-18444 , Foto: Georg Pahl

„Die Hauptgefahr für die Brotversorgung müsse darin gesehen werden, daß eine scharfe Getreidespekulation einsetzen werde.“

Gegen die Getreideumlage

Die Getreideumlage ruft den 1921 gegründeten Reichslandbund auf den Plan. Der ist wie sein Vorgänger, der Bund der Landwirte, eine mächtige Interessenvertretung der preußischen Großgrundbesitzer. Diese haben schon im Ersten Weltkrieg gegen die Zwangsbewirtschaftung von landwirtschaftlichen Produkten zur Sicherstellung der Lebensmittelversorgung agitiert. Nun ist der Krieg vorbei, die Lebensmittelversorgung aber noch nicht gesichert, und der Reichslandbund kämpft dagegen, dass ein Teil der Getreideernte zu festgelegten Preisen verkauft werden soll. Gutsbesitzer Gustav Roesicke, der für die Deutschnationale Volkspartei im Reichstag sitzt, stellt für den Reichslandbund einen polemischen Vergleich an:

„[Er] erklärte das Einverständnis der Landwirtschaft mit dem Umlageverfahren für den Augenblick, wo die Arbeiter bereit wären, im Interesse der Volkswirtschaft den Achtstundentag aufzugeben.“

Auf dem Lande einflussreich

Gustav Roesicke um 1919, gemeinfrei: Von unbekannt – Büro des Reichstags (Hg.): Handbuch der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, Weimar 1919, Carl Heymans Verlag, Berlin, PD-§-134, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=4977872

Der Reichslandbund hat in den ländlichen Gebieten des Reiches großen Einfluss auf die politische Stimmung. Seine Presse – allen voran die wirkungsmächtige „Deutsche Tageszeitung“ – übt Druck auf die deutsche Politik aus. Mit vaterländischer Rhetorik verteidigt sie Interessen der Großgrundbesitzer, gepaart mit republikfeindlichen und antisemitischen Parolen. Im „Reichslandarbeiterbund“ ist 1926 zu lesen:

„Betrachten wir die Zahl der Juden in Deutschland im Verhältnis zur Einwohnerzahl, so muß man sich wundern, welche Sonderstellung, ja sogar bevorzugte Stellung dies auserwählte Volk einnimmt. […] Wodurch erlangten die Juden nun diesen Einfluß? In erster Linie durch das Geld, welches sie dem Volke durch Zinswucher und dergl. entzogen hatten. Dieses Geld, in den Banken aufgestapelt, war der Schlüssel, der ihnen so manche Tür öffnete. Dann nicht zuletzt durch die Presse. […] Mit Hilfe dieser Presse wurde nun das deutsche Volk bearbeitet. Wurde der Arbeiter gegen den Unternehmer ausgespielt und der Klassenkampf geschürt. Führer in dieser klassenkämpferischen Arbeiterbewegung war wieder der Jude.“

Stadt-Land-Gegensatz als politisches Instrument

Mitgliedskarte des Bezirkslandbundes Meissen 1922, Quelle: Von Brück & Sohn Kunstverlag Meißen – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=52722733

Gegen den Klassenkampf beschwört der Reichslandbund die konfliktfreie Dorfgemeinschaft, in der es keine widerstrebenden Interessen gebe. Die ländliche Gesellschaft sei Grundlage eines ebenfalls harmonischen Staatsgefüges, das die Landwirtschaft anstrebe. Diesem vormodernen Weltbild widerspricht jedoch die Demokratie, die auf gleichen Rechten für alle beruht und die Welt nicht in Stände einteilt, in denen die einen herrschen und die anderen der Herrschaft zu dienen haben. In der Propaganda des Reichslandbundes kann eine Staatsführung nicht einfach Leuten überlassen werden, die vom Volk in ein Amt gewählt werden.

„Dazu bedarf es ererbten Staats- und Führungsgefühls, dazu bedarf es einer durch die Jahrhunderte gepflegten Tradition. Beides ist uns in die Wiege gelegt, von beiden machen wir größtenteils keinen Gebrauch, weil unsere Pflicht-, weil unser Verantwortungsgefühl gegen die Allgemeinheit durch die entsetzlichen, jüdisch-nationalistischen Strömungen der Zeit aus den Angeln gehoben ist. Wir stehen am Abgrund […].“

Feindbild Berlin

Das steht in einem Aufruf des Landbundes in Mecklenburg 1926. Die Verantwortung für die „katastrophale“ Lage liege – in der Logik des Reichslandbundes – bei „den“ Juden. Die Zentrale aller deutschfeindlichen Kräfte sei Berlin, das der Landbund dementsprechend als „Neues Jerusalem“ bezeichnet. Dort befinde sich…

„… der Sitz der jüdisch dominierten Produkten- und Devisenbörsen, der Nahrungsmittelkonzerne und der Großmühlen, der jüdischen Presse, der Parlamente, Parteien, Gewerkschaften […] und [das] Zentrum der in Judenhand befindlichen Großbanken.“

Mit diesen antidemokratischen und antisemitischen Stereotypen arbeitet der Reichslandbund von Anfang an gegen die Republik und beeinflusst dadurch die Stimmung auf dem Lande.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland.  

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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