Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord: Bayern als Rückzugsort für Republikfeinde

„Die Verhandlungen in München über die Differenz Bayerns mit der Reichsregierung und die Berliner Vorschläge zu deren Lösung haben gestern zu einer Ministerkrisis geführt; Ministerpräsident v. Kahr und der Justizminister Dr. Roth haben ihren Rücktritt angezeigt […].“

So berichtete der „Badische Beobachter“ am 12. September 1921. Vorausgegangen war eine längere Auseinandersetzung zwischen der Reichsregierung und der politischen Führung des Freistaates. Bayern beanspruchte seit der Niederschlagung der Räterepublik 1919 für sich eine Sonderstellung im Reich. Seit Dezember 1919 herrschte im Süden der Ausnahmezustand, der vor allem gegen Demokraten und Linke eingesetzt wurde. Republikfeindliche und völkisch-nationalistische Gruppen hingegen konnten sich unbehindert ausbreiten.

Konfliktlinien

Der liberale Philosoph und Theologe Ernst Troeltsch skizzierte in der Zeitschrift „Kunstwart“ den Konflikt zwischen Berlin und Bayern:

„Da die Reichspolitik stark unter dem Einfluß des Sozialismus stand und stehen mußte, hat man diesen weiterhin mit dem verhaßten Berlin und mit dem Judentum identifiziert und so die Ströme des Partikularismus und Antisemitismus auf die antisozialistische Mühle geleitet; das Benehmen vieler norddeutscher Sommergäste trägt dazu bei, diese Ströme nicht versiegen zu lassen. Zu alledem kommt dann noch die starke monarchische Strömung, die Bitterkeit der früheren Militärs, die Mitwirkung preußischer Emigranten und die nur allzu begreifliche Verstimmung idealistischer Patrioten. All das knäuelte sich zu dem Gedanken zusammen, Bayern die Mission der Rettung des Reiches vom Sozialismus, der Ordnungszelle und des Keimes des Wiederaufbaues, zuzuschreiben. Man bildete in Bayern die Einwohnerwehren als militärischen Schutz gegen sozialistische Experimente; schuf eine katholisch-bürgerliche Regierung, stattete sie mit den Befugnissen des ‚Ausnahmezustandes‘ aus und hoffte auf diese Weise, das Reich und die Juden schließlich zu einer antisozialistischen Politik zu zwingen.“

Ernst Troeltsch, Die Verfassungskrise: Berliner Brief, in: Kunstwart 35, 1. 1921-22.

Bayern als sicherer Hafen

Auf den Mord an Matthias Erzberger reagierte Reichspräsident Friedrich Ebert mit der Verordnung zum Schutz der Republik. Sie tangierte die Sonderrolle Bayerns als sicherer Hafen selbst für steckbrieflich gesuchte Personen wie etwa Kapitän Ehrhardt, einen der Hauptverantwortlichen beim Kapp-Putsch im März 1920. Der Schutz der Republik verlangte eigentlich, dass solche Leute auch in Bayern verfolgt werden. Stattdessen hielten sich die Attentäter Schulz und Tillessen nach der Ermordung Erzbergers tagelang unbehelligt in München auf, bevor sie weiter nach Ungarn flüchteten.

Gustav Ritter von Kahr, 1920, Foto: gemeinfrei.

In Bayern geschätzt

Aber auch der Rücktritt der Regierung in München bedeutet nicht, dass Bayern nun auf den Kurs der Berliner Republik einschwenken würde. Gerade weil er gegen Berlin und für eine bayerische Sonderrolle eingetreten ist, erfreut sich Gustav Ritter von Kahr großer Beliebtheit in der bayrischen Bevölkerung.

„Mehr als zwei Drittel des bayerischen Volkes werden mit lebhaften Bedauern Dr. von Kahr aus dem Amte scheiden sehen. In der bewegten und verwirrten Zeit des Kapp-Putsches im März des Vorjahres übernahm er das damals gewiß nicht verlockende Amt des Ministerpräsidenten. Sofort wurde von der gesamten Linken – in der Hauptsache aus sehr persönlichen Motiven – ein geradezu ungeheuerliches Kesseltreiben gegen von Kahr eröffnet. Mehr als fünfviertel Jahre lang hat dieser fast wahnwitzige Kampf gewährt. Die Amtszeit des scheidenden Ministerpräsidenten war charakterisiert durch einen unablässigen Kampf gegen Übergriffe der Reichsregierung gegenüber Bayern. Dieses treue Einstehen für die Rechte Bayerns wird das bayerische Volk, soweit es von dem Unitarisierungsbazillus noch nicht angesteckt ist, Dr. von Kahr nie vergessen. Dankbar gedenkt es vor allem des mannhaften Eintretens Kahrs für die Erhaltung der Einwohnerwehr, wenn auch infolge des Druckes der Feinde des deutschen Volkes diese unter Schmerzen geborene Einrichtung fallen mußte. […]

Das Scheiden dieses Mannes reißt eine schmerzliche Wunde auf. Vor allem deshalb, weil es uns den ganzen Jammer unserer innenpolitischen Lage blitzartig vor Augen führt. Der treueste Sachwalter der Rechte Bayerns geht nicht, weil etwa Paris oder Berlin es so wollten, sondern weil ein Bruchteil des eigenen bayerischen Volkes – allerdings unter dem suggestiven Einfluß postenhungriger Führer – es so will … “

So urteilte der konservative „Rosenheimer Anzeiger“ am 12. September 1921. Ungeachtet des Regierungswechsels blieb Bayern der wichtigste Rückzugsraum für all jene, die der Republik den Kampf angesagt hatten. Die völkisch-nationalistische Presse konnte hier fast nach Belieben gegen „Berlin“ hetzen. Und aus München – von der hier residierenden „Organisation Consul“ – kam 1922 auch der Auftrag zur Ermordung des Außenministers Walther Rathenau.

Die Aufnahme vom Fliegergedenktag in München zeigt Erich Ludendorff (Mitte) im Gespräch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten (links), 1921, Foto: Bundesarchiv Bild 183-R41120

Höhepunkt der republikfeindlichen Umtriebe war der Hitlerputsch am 9. November 1923. Ritter von Kahr war zu dieser Zeit Generalstaatskommissar und wandte sich nach anfänglicher Sympathie gegen den sogenannten Sturm auf die Feldherrenhalle. Hitlers Rache folgte nach 1933. Im Rahmen des sogenannten „Röhm-Putsches“ wurde auch von Kahr am 30. Juni 1934 in München verhaftet, misshandelt und erschossen.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe  „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“.  

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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