Demokratiegeschichten

Die Rechte der Kleinsten unter uns

Demokratiegeschichte ist auch immer die Geschichte des Kampfes um Gleichberechtigung und Teilhabe. Wenn man nicht weiß, männlich und wohlhabend war, sah es nämlich für die längste Zeit der Geschichte in der Regel nicht sehr gut aus damit. Dieses Problem besteht ohne Frage auch heute noch, doch wenigstens gibt es die ein oder andere Erfolgsgeschichte, die Hoffnung macht. Der 20. November 1989 war ein Tag, an dem die Vereinten Nationen die Rechte einer Gruppe von Menschen festschrieb, die nur allzu häufig vergessen werden: Kinder.

Fast alle machen mit

An diesem Tag verabschiedet die UN-Generalversammlung das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Convention on the Rights of the Child), besser bekannt als UN-Kinderrechtskommission. Am 2. September des folgenden Jahres, dreißig Tage nach der 20. Ratifizierung durch ein Mitgliedsland, tritt der Vertrag in Kraft. Der Kinderrechtskonvention sind bisher mehr Staaten beigetreten als allen anderen UN-Konventionen. Genau genommen sind ihm alle Mitgliedsstaaten beigetreten – bis auf die USA, die das Abkommen bisher nur unterschrieben, aber nicht ratifiziert haben.

Ein großer Erfolg: Mehr Kinder als jemals zuvor haben heutzutage Zugang zu Bildung, Foto: pixabay

Das Übereinkommen hat den Schutz von Kindern weltweit zum Ziel und hebt deren Wert und Wohlbefinden hervor. 54 Artikel schreiben das Überleben und die Entwicklung, die Nichtdiskriminierung, die Wahrung der Interessen der Kinder und deren Recht auf Partizipation als Grundpfeiler fest. UNICEF stellt mittlerweile eine „kindgerechte“ Version dieser Konvention zur Verfügung. Überwacht wird deren Einhaltung vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, der regelmäßig die Berichte der Unterzeichnerstaaten überprüft.

Das Ergebnis eines langen Weges

Im 19. Jahrhundert kommen angesichts der Massenverelendung der unteren Gesellschaftsschichten in den sich zunehmend industrialisierenden Staaten erstmals Überlegungen auf, sich speziell auch um das Wohl von Kindern zu kümmern. Zentrales Anliegen ist etwa das Verbot von Kinderarbeit. Der internationalen Kinderschutzbewegung ist dies aber bei Weitem noch nicht genug. Sie macht es sich zum Ziel, für den Schutz von Kindern über nationale Grenzen hinweg zu sorgen. Ein wichtiger Meilenstein dabei ist der Erste Internationale Kinderschutz-Kongress 1913 in Brüssel.

Eglantyne Jebb (1920), Foto: gemeinfrei

Eine herausragende Rolle in dieser Bewegung nimmt die britische Sozialreformerin Eglantyne Jebb (1876-1928) ein. Bewegt vom Leid von Kindern während des Ersten Weltkriegs gründet sie im April 1919 den Save the Children Fund, den sie dann über Spenden finanziert. Ein Jahr später entsteht auf ihren Druck hin auch die International Save the Children Union.

Ebenso setzt sich Jebb beim Völkerbund erfolgreich für den Kinderschutz ein. Im September 1924 verabschiedet die Generalversammlung in Genf eine Erklärung, die maßgeblich auf ihren Entwurf der Children’s Charter zurückgeht. 1959, da ist der Völkerbund schon einige Jahre von der UNO abgelöst, verabschiedet deren Generalversammlung wiederum die Deklaration über die Rechte der Kinder, in der sie sich auf einzelne Punkte der vorangegangen Völkerbunddeklaration bezieht, diese aber entscheidend erweitert.

1979 wird dann das von der UNO ausgerufene Jahr des Kindes, in dem Polen Entwürfe für eine Kinderrechtskonvention vorlegt. Sie münden schließlich in die Übereinkunft vom 20. November 1989, der UN-Kinderrechtskommission.

Garten zur Erinnerung an Eglantyne Jebb in Genf, Foto: Creative Commons CC BY-SA 4.0

Noch immer gibt es viel zu tun

Und heute, mehr als drei Jahrzehnte später? Sind Kinderrechte endlich eine weltweite Selbstverständlichkeit? Tatsächlich ist die Kindersterblichkeit signifikant gesunken und es gehen mehr Kinder als jemals zuvor zur Schule. Erfolge gibt es also durchaus. Aber wie so oft, ist dies nur eine Seite der Medaille.

Denn zur Wahrheit gehört ebenso, dass immer noch rund 150 Millionen Kinder weltweit unterernährt sind. Kinder aus ärmeren Familien profitieren generell weitaus weniger von den Errungenschaften der letzten Jahrzehnte. Es kommen außerdem neue Probleme hinzu, nicht zuletzt der Klimawandel. Kinder in entsprechenden Regionen der Welt leiden naturgemäß mehr unter dessen Folgen.

Immer noch müssen 150 Millionen Kinder tagtäglich mit Hunger kämpfen, Foto: pixabay

Aber auch in Deutschland gibt es noch viel zu tun: Die Kinderarmut verharrt seit über zehn Jahren auf dem gleichen Stand, was für die Betroffenen in den meisten Fällen verheerende Auswirkungen auf ihre Bildungschancen hat. Kinder werden darüber hinaus von der Politik immer noch selten in Entscheidungen, auch diejenigen, die sie betreffen, miteinbezogen.

Sind Kinderrechte Grundrechte?

So stimmt der Deutsche Bundestag der Kinderrechtskonvention am 17. Februar 1992 zwar zu, ratifiziert wird sie am 6. März und tritt am 5. April in Kraft. Seit 2010 gilt sie als völkerrechtlicher Vertrag und ist einem Bundesgesetz gleichwertig. Doch Kinderrechte sind immer noch nicht im Grundgesetz verankert, eine Tatsache, die von Kritiker:innen immer und immer wieder angeprangert wird. Wenn dies irgendwann der Fall ist, könnten Kinderrechte nämlich bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht eingeklagt werden.

Erst vor wenigen Monaten im Sommer 2021 ist ein Gesetzesentwurf gescheitert, der Kinderrechte im Grundgesetzt verankern sollte. Wann das nächste Mal eine solche Möglichkeit besteht, lässt sich kaum vorhersagen. Dass eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz aber nicht nur symbolische Bedeutung hätte, steht fest. Denn letztlich müssen Übereinkünfte wie die UN-Kinderrechtskonvention immer durch die Rechtsprechung des jeweiligen Landes in die Tat umgesetzt werden.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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