Demokratiegeschichten

Flucht aus der DDR: Über die Mauer hinweg

In der Reihe Flucht aus der DDR möchten wir Geschichten von Menschen erzählen, die aus der DDR geflohen sind, um ihren Traum eines demokratischen Lebens zu verwirklichen. Die Fluchtversuche wurden auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen unternommen. Was sie alle eint, ist der unglaubliche Mut derjenigen, die bereit sind, ihr Zuhause zurückzulassen und alles aufs Spiel zu setzen, um ein Leben in Freiheit führen zu können.

Nach dem Mauerbau 1961 ist der sogenannte „antifaschistische Schutzwall“ nicht nur ein Symbol der Unterdrückung durch das SED-Regime, sondern auch ein tatsächliches physisches Hindernis bei einer Flucht in den Westen. Um buchstäblich über ihn hinweg zu gelangen, lassen sich fluchtwillige DDR-Bürger*innen die verschiedensten Methoden einfallen.

Rettende Sprünge

So versuchen es manche mit einem auf den ersten Blick recht simpel anmutenden Sprung aus der eigenen Wohnung. Dies ist allerdings nur so lange möglich, bevor die Fenster derjenigen Häuser, die genau auf der Grenze zwischen Ost und West stehen, auf Befehl des Regimes zugemauert werden.

Doch bis dahin wagen einige Ost-Berliner*innen den Sprung in die Freiheit, meist jedoch erst einmal in von der Feuerwehr aufgespannte Tücher. So wollen auch zwei Frauen am 13. September 1961, also nur wenige Wochen nach dem Mauerbau, von Treptow aus nach Neukölln fliehen. Doch die Ost-Berliner Grenzpolizisten verhindern dies mit Wasserwerfern und Tränengas, woraufhin die Frauen den Fluchtversuch abbrechen. Zwei Männern war das Entkommen auf diese Art und Weise nur wenige Stunden vorher noch gelungen.

Von der östlichen Mauerseite aus verhindern DDR-Grenzpolizisten die Flucht zweier Frauen nach West-Berlin (1961), Foto: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin

Ebenfalls aus dem Fenster eines Grenzhauses flieht der Maschinenbauingenieur Dieter W. aus Görlitz. Am 3. März 1965 seilt er sich mithilfe einer mehrmals miteinander verknüpften Wäscheleine aus dem 4. Stockwerk in Treptow nach West-Berlin ab. Auf der Höhe des ersten Stocks stößt er sich vom Gebäude ab, schwingt über die Mauer hinweg und landet in Neukölln. Beim Aufprall bricht er sich zwar den Knöchel, ist dann aber in Freiheit.

Wer die Leiter hinauf will…

Eine schlichte Leiter ist durchaus sinnvoll, wenn es die Regenrinne zu leeren oder eine Hauswand zu bemalen gilt, aber taugt sie auch zum Überwinden einer hochgesicherten Staatsgrenze? Nachdem sie für Arbeiten an der Kapelle und dem Pfarrhaus von Klein Glienicke Passierscheine erhalten haben, mit denen sie das Grenzgebiet betreten dürfen, wagen zwei Dachdecker am 7. Mai 1965 genau dies.

Die Berliner Mauer mit dem Todesstreifen (1990), Foto: Ralf Roletschek

Als sich einer von zwei Grenzpolizisten, die sie rund um die Uhr beaufsichtigen, entfernt, entwaffnen sie den zweiten und fliehen dann mit einer Leiter über die Mauer. Sie feuern währenddessen Warnschüsse ab, die die Grenzpolizisten von der Verfolgung abhalten. Ein dritter Dachdecker bleibt zurück, weil er seine Familie nicht zurücklassen möchte. Er wird inhaftiert und gesteht nach Vernehmungen, von der Flucht gewusst zu haben. Er erhält daraufhin zwei Jahre Zuchthaus. Auch die beiden Grenzsoldaten erhalten Haftstrafen, da sie die Flucht nicht verhindert haben.

Knapp zwanzig Jahre später ist es wieder eine Leiter, die eine erfolgreiche Flucht ermöglichen soll. Frühmorgens am 2. September 1986 klettern zwei junge Männer nahe des Grenzübergangs Bornholmer Straße damit über die Hinterlandmauer. Ein Postenhaus in der Nähe ist noch nicht fertiggestellt, der Signalzaun auf der Mauer ist defekt, ein Wachturm nicht besetzt.

Nach dem unbemerkten Überklettern eines weiteren Grenzzauns befinden sich die beiden dann auf dem Kontrollterritorium des eigentlichen Grenzübergangs. Sie stehen direkt auf der Diplomatenspur. Jetzt werden sie zwar von Grenzsoldaten wahrgenommen, aber nicht aufgehalten. Denn Personen in diesem Bereich wurden üblicherweise bereits kontrolliert. Die beiden jungen Männer übertreten die Grenze, als der Schlagbaum gerade für ein durchfahrendes Auto geöffnet ist, und gehen ungehindert nach West-Berlin.

Durch die Lüfte

Je näher an der streng bewachten Mauer selbst man eine Flucht wagt, desto größer ist die Gefahr, entdeckt zu werden. Dies denken sich wohl zumindest diejenigen Flüchtenden, die dabei extrem hoch hinaus wollen. So startet beispielsweise am 20. Dezember 1986 ein Mann in der Nähe von Potsdam einen Fluchtversuch mit einem selbstgebauten, motorgetriebenen Drachenflug-Gleiter. Ungünstige Wetterverhältnisse zwingen ihn aber zur frühzeitigen Landung. Noch auf DDR-Gebiet geht er wieder zu Boden. Mehrere Anwohner*innen haben den Fluchtversuch beobachtet und melden ihn der Stasi, der Mann wird verhaftet.

Mehr Glück bei der Flucht hat Thomas K., der mit einem Motorflugzeug ebenfalls von Potsdam aus startet. Dem 18-Jährigen gelingt es am 15. Juli 1987 bei seinem zweiten Alleinflug überhaupt alle sowjetischen und ostdeutschen Radarkontrollen zu unterfliegen. Sicher landet er auf dem britischen Militärflughafen Gatow im westlichen Teil Berlins. Britische Soldaten geben im Anschluss das Flugzeug der DDR zurück.

Heute als Museum genutztes Gebäude auf dem Flugplatz Gatow, Foto: gemeinfrei
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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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