Demokratiegeschichten

Der 17. Juni 1953 – Volksaufstand in der DDR

Die Serie „17. Juni“ ist ein Kooperationsprojekt des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Berliner Aufarbeitungsbeauftragten haben für den Blog geschrieben.


Am 17. Juni 1953 steht die DDR Kopf: Über eine Million Menschen ziehen landesweit durch die Straßen und fordern freie Wahlen und ein Ende der Diktatur. Ein weitgehend spontaner Volksaufstand, der um sich greift wie ein Lauffeuer – und dessen Ursachen alles andere als spontan waren.

Die Machthaber der DDR begannen spätestens 1952 endgültig damit, ihre eigene Position zu festigen. Statt einer Demokratie wurde eine Diktatur errichtet: Die SED, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, sollte bis zum Ende der DDR allein über die Geschicke des Landes bestimmen.

Der Aufbau des Sozialismus wurde verkündet und vorangetrieben. Das Privateigentum an Produktionsmitteln wurde in großem Umfang abgeschafft und in Volkseigentum umgewandelt. Bauern wurden enteignet und in sogenannten Produktionsgenossenschaften zusammengeschlossen. Hotels wurden verstaatlicht, private Läden und selbstständige Betriebe geschlossen. Wehrte sich ein Landwirt oder eine Ladeninhaberin dagegen, so musste er oder sie mit langen Haftstrafen rechnen. Das galt auch für jede andere Ablehnung des offiziellen Kurses: Die Zahl der Inhaftierten verdoppelte sich innerhalb eines Jahres nahezu.

Aufbau des Sozialismus

Darüber hinaus erhöhten sich die staatlichen Ausgaben für den Aufbau des Militärs drastisch, ebenso wie die Förderung der Schwerindustrie. Branchen wie die Konsumgüterproduktion wurden hingegen als weniger systemrelevant angesehen, wodurch die Versorgung sich spürbar verschlechterte. Zudem erhöhte sich die Arbeitsleistung der Beschäftigten in den Betrieben, ohne Anpassung der Löhne. In vielen Produktionsstätten sollten sie also für den gleichen Lohn mehr Arbeit leisten.

Die Lebensmittelversorgung war bereits vorher von Engpässen geprägt. Lebensmittel erhielt man vor allem mit Lebensmittelmarken. Die Preise für frei erhältliche Lebensmittel wurden immer höher. Manche Dinge gab es gar nicht oder nur sehr schwer zu kaufen.

Diese mit harter Hand durchgeführte Linie sorgte dafür, dass die Stimmung in der Bevölkerung immer schlechter wurde. Die Zahl der SED-Mitglieder sank, die Kritik wurde hörbar lauter. Immer mehr Menschen entschieden sich dazu, der DDR den Rücken zu kehren. Die Flüchtlingszahlen stiegen 1953 rasant an, trotz oder gerade wegen der Schließung der innerdeutschen Grenze im Mai 1952.

Ein Todesfall mit Folgen

Als am 5. März 1953 der langjährige sowjetische Diktator Josef W. Stalin starb, analysierten seine möglichen Nachfolger die Zustände in ihrem Machtbereich, zu dem auch die DDR gehörte. Sie registrierten nun den wachsenden Unmut der dortigen Bevölkerung und die steigenden Flüchtlingszahlen. Je mehr Menschen das Land verließen, desto schwerer würde es sein, den sozialistischen Aufbau zu vollenden. Eine Schwächung der Außengrenze ihres direkten Einflussgebietes zur Bundesrepublik Deutschland konnte die Sowjetunion nicht hinnehmen.

So wurden Anfang Juni 1953 die wichtigsten Vertreter der SED, darunter Walter Ulbricht, nach Moskau gerufen. Wie Schuljungen wurden sie dort für ihr hartes Durchgreifen gerügt. Sie sollten sofort einen neuen, gemäßigteren Kurs einschlagen. Begeistert war keiner von ihnen. Doch sie mussten sich fügen. Mit neuen Anweisungen im Gepäck fuhren sie zurück nach Berlin – und das Geschehen nahm seinen Lauf.

Der „Neue Kurs“

Am 9. Juni beschloss die DDR-Regierung daher den sogenannten „Neuen Kurs“. Die Zeitungen der DDR veröffentlichten den Inhalt zwei Tage später. Staunend lasen die DDR-Bürgerinnen und -Bürger, was die SED-Führung nun verkündete. Sie gestand nicht nur förmlich und öffentlich ihr Versagen ein, sie versprach auch die Freilassung politischer Häftlinge, eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, der Versorgungslage und die Rückgabe von Eigentum an die Bauern.

In vielen Teilen der Bevölkerung machte sich Hoffnung breit. Vielleicht waren jetzt auch nachhaltige Veränderungen möglich, vielleicht sogar freie Wahlen? Für viele Bürgerinnen und Bürger stand fest: Der „Neue Kurs“ war ein Schuldeingeständnis der Regierung.

Doch eine Sache blieb vom „Neuen Kurs“ unangetastet: Die bevorstehende erneute Erhöhung der Arbeitsleistung für Arbeiterinnen und Arbeiter.

Vom Strohfeuer zum Flächenbrand

Versammlungen wurden abgehalten, Protestschreiben verfasst. Eine Atmosphäre des freien Redens und des Selbstbewusstseins verbreitete sich innerhalb der Belegschaften. In vielen Betrieben, sowohl in den Städten als auch auf den Dörfern, wurde nach der Verkündung des „Neuen Kurs“ kurzzeitig die Arbeit niedergelegt und protestiert. Das schnelle Eingreifen von Parteifunktionären und Gewerkschaftern verhinderte zunächst, dass die Proteste sich ausbreiteten. Das Aufbegehren der Berliner Bauarbeiter am 15. und 16. Juni war schließlich der Katalysator, der aus dem Strohfeuer einen Flächenbrand machte.

Vom Generalstreik zum Volksaufstand

Am 16. Juni riefen Protestierende in Berlin für den folgenden Morgen zum Generalstreik auf. Als der überregionale Westberliner Radiosender RIAS über die Demonstrationen berichtete, beschlossen Arbeiterinnen und Arbeiter landesweit, sich zu solidarisieren und ebenfalls zu streiken. So kam es am 17. Juni nicht nur in den Großstädten Berlin, Magdeburg, Leipzig oder Halle zu Protesten. Insgesamt knapp eine Million Menschen war in mehr als 700 Städten und Gemeinden auf den Straßen unterwegs.

Die Dynamik des anfänglichen Generalstreiks entwickelte sich rasant. Die Protestierenden forderten am 17. Juni eine neue Regierung, freie Wahlen, das Ende des Sozialismus. Sie besetzten SED-Büros, Gebäude des Ministeriums für Staatssicherheit, drangen in einigen Städten sogar in Gefängnisse ein und befreiten die Gefangenen. Die Ereignisse überschlugen sich landesweit, längst hatte sich das Geschehen zu einem Volksaufstand ausgeweitet. In Berlin und vielen anderen Orten kam es zu Ausschreitungen mit der Polizei, Gebäude gerieten in Brand.

Sowjetische Truppen schlagen den Aufstand nieder

Hilf- und tatenlos saß die SED-Führung im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst. Das sowjetische Militär verhängte um 13 Uhr in Ost-Berlin sowie später in anderen Städten der DDR den Ausnahmezustand. Panzer und Soldaten der Roten Armee zerstreuten die Demonstrierenden unter Einsatz von Schusswaffen, schlugen den Aufstand blutig nieder und retteten so den Fortbestand der kommunistischen Diktatur in der DDR. Mindestens 55 Menschen verloren dabei ihr Leben.

Der 17. Juni 1953 hinterließ ein Trauma bei der SED-Führung. Sie sollte bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 alles in ihrer Macht Stehende dafür tun, einen weiteren Aufstand zu unterbinden. Der Ausbau des Ministeriums für Staatssicherheit und die Neuorganisation der Armee- und Polizeikräfte waren ein Anfang – und eine direkte Folge des Volksaufstands vom 17. Juni 1953.

Jana Birthelmer ist Kulturhistorikerin und Referentin für Historisch-politische Bildung beim Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB).

Jens Schöne ist Historiker und Stellvertretender Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB).

Artikel Drucken
Markiert in:
Über uns 

1 Kommentar

  1. Rainer Kirmse , Altenburg

    17. Juni 2020 - 19:16
    Antworten

    VOLKSAUFSTAND

    Stalin hatte mit harter Hand
    Die SED ans Ruder gebracht.
    Diktatur überzog das Land,
    Erhielt der Partei die Macht.

    Man befahl den Sozialismus,
    Das Volk wurde nicht gefragt.
    Es wurde nur Stalinismus,
    Der Widerstand war gewagt.

    Normerhöhung und Repression
    Steigerten Ablehnung und Wut.
    Allerorten gärte es schon,
    Aus dem Funken wurde die Glut.

    In Berlin flammt das Feuer auf,
    Man demonstriert in den Straßen.
    Vom Gebirge bis zur See hinauf
    Rebellieren zornige Massen.

    Man will ein besseres Leben,
    Die Einheit nach freien Wahlen;
    Will sich neue Hoffnung geben
    Nach Krieg und Hungerqualen.

    Dem Regime droht rasches Ende
    Nach erbitterter Straßenschlacht.
    Geholte Sowjetverbände
    Haben kurzen Prozess gemacht.

    Es sind Panzer aufgefahren,
    Sie schlugen den Aufstand nieder.
    Wir woll’n das Andenken wahren,
    Uns erinnern immer wieder.

    Euer Kampf war nicht vergebens,
    Die Toten sind nicht vergessen.
    Wir erfreu’n uns freien Lebens,
    Ihr seid die Vorreiter gewesen.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert