Demokratiegeschichten

Deutsche Geschichte bei Kaffee und Kuchen – Die Rhöndorfer Konferenz im Jahr 1949

Politische Macht und Entscheidungen verbinden wir in der Regel mit bestimmten Orten. In Deutschland sind das für gewöhnlich die Gebäude der drei Gewalten in unserem Staat: Das Reichstagsgebäude als Parlament, das Bundeskanzleramt und die Ministerien als ausführende Staatsorgane und die Gerichtsgebäude als Orte der Rechtsprechung. Im Ausland ist diese Tendenz sogar noch stärker. Wenn wir vom Weißen Haus oder vom Kapitol, vom Kreml oder dem Elysee-Palast sprechen, meinen wir nur selten die Gebäude selbst, sondern viel mehr die Institutionen, die ihren Sitz dort haben. In Großbritannien werden mit den Ortsbezeichnungen Westminster, Holyrood und Stormont die (Lokal-)Regierungen bzw. die Parlamente des Vereinigten Königreichs, Schottlands und Nordirlands beschrieben. Ähnliche Beispiele lassen sich auch für Verträge und bestimmte Zusammenkünfte finden. Um eine solche der etwas besonderen Art soll es heute gehen.

Rhöndorf in der Nähe von Bonn gehört für gewöhnlich sicher nicht in diese erste Liga politischer Entscheidungszentren. Für einen Tag im Jahr 1949 wurde das Dorf aber zum unfreiwilligen Entscheidungsort der deutschen Politik. Dafür, dass es sich um ein eher konspiratives Treffen handelte, wissen wir erstaunlich gut über die Abläufe Bescheid. Der damalige Ministerpräsident von Württemberg-Hohenzollern fertigte eine private Niederschrift an, in der manche Beiträge fast wortwörtlich wiedergegeben werden.

Das Setting

Rhöndorf ist heute ein immer noch sehr beschaulicher Ortsteil von Bad Honnef am Rhein. Historische Bedeutung hatte der Ort kaum auf sich geladen bis im Jahr 1937 der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Köln, Konrad Adenauer, dort ein Haus baute und mit seiner Familie bis zu seinem Tod im Jahr 1967 in diesem lebte. Auch wenn es an einem Hang sehr schön liegt, stach es weder in seiner Größe noch in seiner Ausstattung sonderlich hervor. Konrad Adenauer nutzte das Geld, welches er nach seiner erzwungenen Pensionierung nach langen Rechtsstreitigkeiten mit der Regierung als Ausgleich erhielt, um seiner Familie eine neue Bleibe zu bauen.

Hier begangen auch die ersten Schritte seiner neuen politischen Laufbahn, da ihn hier schon vor Ende des Krieges Mitglieder des christlichen Widerstandes aufsuchten und ihn um seine Mitarbeit baten. Dazu kam es zwar nicht, doch in den nächsten zwei Jahrzehnten sollte der Ort eine der Schaltstellen der politischen Macht in Deutschland werden, da Adenauer als Parlamentarier, als Bundeskanzler und schließlich noch als CDU-Bundesvorsitzender hier wohnte. Das Bild vom „Alten Mann aus Rhöndorf“ sollte von ihm in der Öffentlichkeit bestehen bleiben.

Prolog: Rhöndorf im Jahr 1949

Vier Jahre nach Ende des Krieges sollte es am 21. August 1949 in dem kleinen Ort am Fuße des Siebengebirges zu einer Zusammenkunft vieler der bedeutendsten Politiker der noch jungen Bundesrepublik kommen. Es war ein Sonntag. Genau eine Woche zuvor hatte die CDU gemeinsam mit ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU die Bundestagswahl mit dem stärksten Stimmergebnis (31,0%) gewonnen. Es schien klar, dass viele der wichtigen Posten in der neuen Regierung an einen der Anwesenden gehen würden. Etliche Fragen waren aber noch nicht geklärt. Wer sollte zum Beispiel Bundeskanzler werden und mit wem wollte die Union überhaupt eine Regierungskoalition bilden? Vieles erschien auf den ersten Blick noch unklar. Bei der Zusammenkunft sollten nun die Weichenstellungen für die Zukunft der Bundesrepublik vorgenommen werden. Wer sollte bei diesem Treffen, ja bei diesem politischen Kammerspiel die Führung übernehmen? Auftritt Konrad Adenauer.

Es erscheint bei der ersten Betrachtung schon etwas seltsam, dass so eine größere Zusammenkunft von immerhin 26 Unionspolitikern in einem Privathaus stattfinden sollte. Schließlich erwies es sich als Geniestreich Adenauers, der sich mit dieser Aktion als Gastgeber in eine zentrale Position bringen konnte. Denn ihm war eines bewusst: Die anderen Gäste mochten zwar denken, dass es nur eine informelle Besprechung des Wahlergebnisses sein sollte. Aber er hat entscheidenden Einfluss darüber, wer überhaupt eingeladen wird. Und welche Themen er anschneidet und dass es für die Gäste alleine schon aus Höflichkeit nur schwer möglich wäre, ihm als Gastgeber zu offen und zu deutlich zu widersprechen. Ähnliche Treffen konnten zwar noch stattfinden. Aber nur hier hatte er die Gelegenheit, bei kalten Speisen, Wein, Kaffee und Kuchen einige Punkte für sich zu entscheiden.

Die Konferenz Akt I: Mit wem wird regiert?

In der Union gab es zwei Lager zu der Frage, mit wem man am liebsten zusammenarbeiten wollte. Insbesondere der linke Flügel, der von ehemaligen Zentrumspolitikern und christlichen Gewerkschaftern dominiert war, setzte sich für eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten ein. Gemeinsam sollte es möglich sein, in einer Koalition der größten demokratischen Kräfte die Bundesrepublik effektiv wiederaufzubauen. Eine große Koalition gab es außerdem in nahezu allen Bundesländern. Eine Zusammenarbeit zwischen der SPD und der Union wäre also trotz des recht polemischen Wahlkampfes nicht ungewöhnlich gewesen.

Adenauer war anderer Meinung. Er hatte sich schon in den Jahren davor für eine möglichst große Distanz zur SPD ausgesprochen, die für ihn auch ideologisch zu weit von seinen eigenen Vorstellungen entfernt war. Die linken Kräfte in seiner Partei hatten schon eine Reihe von Niederlagen einstecken müssen. Viele Anhänger eines „christlichen“ Sozialismus hatten die Partei bereits verlassen. Der verbliebene Rest war überwiegend schlicht und ergreifend nicht nach Rhöndorf eingeladen. So fehlte zum Beispiel Adenauers wichtigster parteiinterner Gegenspieler, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold.

Lehren aus Weimar

Der württembergische Abgeordnete Theophil Kaufmann zog sogar Lehren aus der Weimarer Zeit. Er warf den Anhängern einer großen Koalition vor, nur aus Bequemlichkeit mit der SPD zusammenarbeiten zu wollen. Das wäre ein Grund für den Untergang der Weimarer Republik im Jahr 1933 gewesen.

So konnte man auch eine Mehrheit an Funktionären organisieren, die für eine kleine Koalition der bürgerlichen Parteien waren. Und dass, obwohl die Parteibasis bei diesem Thema wesentlich gespaltener war.

Aufgrund dieser Punkte konnte Adenauer auch anders argumentieren. Er behauptete, dass die Wähler der Union einen klaren Auftrag gegeben hätten und dieser schließe die SPD aus. Nur in einem Mitte-Rechts-Bündnis könnte die Union den Wählerauftrag erfüllen. Diese Interpretation mag etwas abenteuerlich anmuten, aber nur wenige der Gäste widersprachen der Analyse.

TBC

Adenauer ging nun mit einer anderen Vorstellung einer möglichen Koalition in die Debatte. Sowohl für den Koalitionspartner wie auch für seine eigene Rolle in einer solchen Regierung. Wie diese aussah, wird am Samstag im zweiten Teil dieses Beitrags gezeigt werden.

Informationen zum Adenauerhaus:
Das Adenauerhaus ist Di-So für Besucher geöffnet.
Weitere Infos unter
www.adenauerhaus.de oder Tel. 02224-921234 .

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Über uns 
Björn Höfer ist Mitglied von Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. und promoviert in St Andrews und Potsdam im Bereich "Politischer Katholizismus zwischen Weimar und Bonn".

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