Eine Demonstration der besonderen Art fand am 21. Januar 1990 – heute vor 35 Jahren – am Grenzübergang Duderstadt-Worbis statt. Etwa 50.000 Menschen versammelten sich dort an diesem kalten, aber sonnigen Januartag, mit Koffern und Rucksäcken. Gemeinsam zogen sie über die offene Grenze ins niedersächsische Gerblingrode. Aber sie wollten nicht ausreisen und die Koffer und Rucksäcke waren leer. Sie veranstalteten die vermutlich erste „Kofferdemo“ der Weltgeschichte. Bleibt die spannende Frage: Wer waren diese Menschen und warum taten sie das?
Aus dem Obereichsfeld
Die Demonstrant:innen kamen zum größten Teil aus dem thüringischen Teil des Eichsfeldes, dem Obereichsfeld. Als Eichsfeld bezeichnet man die Landschaft zwischen den Flüssen Rhume und Werra, dem Thüringer Becken und dem Göttingen-Northeimer Wald. Interessant ist, dass das Eichsfeld eine katholische Enklave in einem sonst evangelischen Gebiet ist, weil es lange zum Bistum Mainz gehörte. Durch das Eichsfeld verlief die Grenze zur DDR, heute liegen Teile des Eichsfeldes in den Bundesländern Thüringen, Hessen und Niedersachsen.
Der Grenzübergang
Der Grenzübergang Duderstadt-Worbis, an dem sich die Demonstrierenden am 21. Januar 1990 trafen, wurde 1973 auf Basis des „Grundlagenvertrags“ zwischen der DDR und der Bundesrepublik für den grenznahen Verkehr eröffnet, d.h., nur Eichsfelder durften ihn benutzen. So wurden Verwandtenbesuche zwischen Ost und West möglich, mussten aber sechs Wochen im Voraus beantragt werden und waren mit vielen bürokratischen Hürden verbunden. Einfach so in den Westen reisen, das war auch im Eichsfeld erst ab dem 10. November 1989 möglich.
In den Westen
Und von dieser Möglichkeit machten viele Bewohner:innen des Thüringer Eichsfeldes reichlich Gebrauch; sie reisten ab dem 10. November 1989 in Scharen aus, nicht um Urlaub zu machen, sondern um dauerhaft im Westen ihr Glück zu suchen. Vor allem junge und gebildete Menschen hielt nichts mehr in der DDR, denn viele Betriebe schlossen, die Wirtschaft lag am Boden.
Gegen die SED
Und die SED war immer noch an der Macht im Januar 1990. Viele Obereichsfelder haben das Gefühl: hier muss sich schnell etwas ändern, damit nicht noch mehr junge Menschen in den Westen gehen und das Thüringer Eichsfeld ausblutet. So entsteht die Idee, mit einem symbolhaften Grenzübertritt zu demonstrieren und auch zu drohen. So konnte man auf den mitgebrachten Plakaten zum Beispiel lesen: „Wenn die SED-Regierung bleibt, geben wir die Heimat auf!“ und „Kommt die SED wieder an die Macht, gehen wir noch in der selben Nacht!“.
Ziele erreicht?
Das wichtigste Ziel der Demonstrant:innen, die Herrschaft der SED zu beenden, wurde bei der Volkskammerwahl am 18. März 1990 erreicht. Die SED, die sich inzwischen in PDS umbenannt hatte, wurde „nur“ drittstärkste Kraft hinter CDU und SPD. Ein weiteres wichtiges Ziel, das auf der „Kofferdemo“ eine Rolle spielte, war die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, die dann am 3. Oktober 1990 vollzogen wurde. Den Wegzug vieler junger Menschen in den Westen, besonders auch vieler junger Frauen, verhinderte die Demonstration am 21. Januar 1990 nicht. Wir wissen nicht, wie viele der Protestierenden von damals ihre Drohung wahrmachten und selbst nach Westdeutschland übersiedelten.
Erinnern im Grenzlandmuseum
2015, zum 25-jährigen Jahrestag der Kofferdemo, zeigte das Grenzlandmuseum Eichsfeld, das am Ort des ehemaligen Grenzüberganges Duderstadt-Worbis eingerichtet wurde, eine Sonderausstellung zu diesem Thema. Die Ausstellung wurde in einem gemeinsamen Projekt von Museum, Studierenden der Uni Göttingen sowie von Schüler:innen des Eichsfeld-Gymnasiums Duderstadt erarbeitet. Die Ausstellung ist allerdings nicht mehr zu sehen. Seit 2013 erinnert aber eine Plakette am Grenzlandmuseum an die Kofferdemo am 21. Januar 1990.
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