Demokratiegeschichten

Eine nicht ganz reibungslose Republikgründung

Am Ende des Jahres 1918 tobt der Erste Weltkrieg zwar nicht mehr in dem Maße, wie er es bis dahin getan hat. Aber so richtig vorbei ist er auch noch nicht. Zahlreiche europäische Monarchien gehen in genau den Flammen auf, die sie selbst in ihrem Größenwahn und Expansionsdrang im Sommer 1914 entfacht haben. Nicht selten werden sie anschließend abgelöst von demokratischen Systemen. Eines davon ist die Republik Deutschösterreich.

Arbeitsruhe im Namen der Republik

So rufen am 12. November 1918 in Wien zwei der drei Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung, Franz Dinghofer und Karl Seitz, in einer von Tumulten begleiteten Zeremonie vor dem Parlamentsgebäude die Republik Deutschösterreich aus. Für den Tag ist Arbeitsruhe angeordnet und die Bevölkerung ist dazu angehalten, an der Proklamation teilzunehmen.

Franz I., der letzte Kaiser der Donaumonarchie (1917), Foto: Wenzl Weis, gemeinfrei

Etwa 150.000 Menschen tun dies trotz schlechten Wetters tatsächlich und am Nachmittag ist der Platz vor dem Parlamentsgebäude gerammelt voll. Einige Zuhörende klettern auf Statuen, um eine bessere Sicht auf die Ereignisse zu haben. Unter den Menschen sind auch bewaffnete Kämpfer der kommunistischen Roten Garden. Die Polizei dagegen ist nicht anwesend, denn für Sicherheit sorgen soll die Deutschösterreichische Volkswehr, das provisorische Heer nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Armee.

Am Tag zuvor hatte Kaiser Karl I. widerwillig eine Mitteilung unterschrieben, in der er auf eine Regierungsbeteiligung verzichtete – mit Bleistift, um den seiner Meinung nach provisorischen Charakter dieser Erklärung zu betonen. Offiziell abgedankt hat der Kaiser also nicht, allerdings ist dies auch nicht nötig, da die folgenden Ereignisse Tatsachen schaffen, ob dies Seiner Hoheit nun gefällt oder nicht.

Zeremonielle Störungen

Nachdem die Provisorische Nationalversammlung am Mittag des 12. November 1918 das Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich einstimmig angenommen hat, erscheinen die Parlamentspräsidenten, Angehörige der Regierung und Abgeordnete an der Balustrade vor dem Parlamentsgebäude. Präsident Dinghofer verliest gerade den Text der neuen Verfassung, welche Deutschösterreich als demokratische Republik festschreibt, als einige Rotgardisten heranstürmen und den weißen Mittelteil aus den rot-weiß-roten Nationalfahnen herausreißen.

Als Dinghofer aufhört zu sprechen, in der Erwartung, dass nun die Nationalflagge aufgezogen wird, hissen die Rotgardisten die verbliebenen roten Teile. Allen Anwesenden ist bewusst, wofür diese roten Fahnen stehen sollen. Die führenden Politiker sind kurz ratlos, versuchen dann aber, den Ablauf der Zeremonie wie geplant fortzuführen. Tatsächlich bleibt die Situation auch jetzt noch weitestgehend ruhig.

Die Menschenmenge vor dem Parlamentsgebäude am 12. November 1918, Foto: Zeitungschrift Sport und Salon vom 17. November 1918, S.9, gemeinfrei

Nach weiteren Reden von Staatskanzler Karl Renner und Nationalversammlungspräsident Karl Seitz kehren die Abgeordneten, immer noch ein wenig aus der Bahn geworfen, schnell ins Parlament zurück. Vor dem Parlamentsgebäude diskutieren noch zahlreiche Menschen den soeben miterlebten historischen Augenblick, als Karl Steinhardt von den Arbeiterräten aus Wiener Neustadt und Mitgründer der österreichischen KP zur Errichtung einer Räterepublik aufruft. Unter dem Applaus einiger Beistehender versucht er mit einigen Bewaffneten ins Gebäude einzudringen, um dort die Gründung einer sozialistischen Republik zu fordern. Doch die Volkswehr hält ihn vehement davon ab.

Das Scheitern der Sozialisten

Franz Dinghofer, der „Ausrufer“ der Republik Deutschösterreich (1907), Foto: Archiv der Stadt Linz, gemeinfrei

Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen Volkswehrsoldaten und Roten Garden, in deren Zuge das Parlamentstor geschlossen wir und auch ein Schuss fällt. Nun eskaliert die Situation rund um das Parlament doch noch und die Roten Garden nehmen das Gebäude unter Feuer. In der umstehenden Menge bricht Panik aus und ein Mann sowie ein Kind werden zu Tode getrampelt, viele weitere Menschen werden verletzt. Erst nach 17:00 Uhr kehrt auf dem Platz vor dem Parlament Ruhe ein.

Doch die Rotgardisten wollen sich noch nicht ganz von ihrem Traum einer sozialistischen Räterepublik verabschieden. Kurz darauf besetzen sie unter der Führung von Egon Erwin Kisch die Redaktion der Tageszeitung Neue Freie Presse und erzwingen den Druck einer Sonderausgabe zur vermeintlichen Ausrufung ihrer Traumrepublik. Am Abend folgt ein weiteres Flugblatt, das wiederum die vorangegangene Redaktionsbesetzung rechtfertigen soll. Doch die Schaffung einer sozialistischen Republik in Österreich scheitert trotzdem, da nicht einmal die Sozialdemokratie sie unterstützt.

Der 12. November wird 1919 zum Staatsfeiertag erklärt und bleibt dies bis 1934, als Österreich zum autoritären Ständestaat wird. Ebenso wird 1919 der Name des neuen Staates Republik Deutschösterreich im Vertag von Saint-Germain-en-Laye in Republik Österreich geändert. Die Feinde einer demokratisch-republikanischen Ordnung, welche nicht selten noch immer der Herrschaft der alten k.u.k. Monarchie nachtrauern, müssen sich zunächst mit dem verhassten System arrangieren.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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