Demokratiegeschichten

…und danach? Erinnerung an den 17. Juni 1953

Die Serie „17. Juni“ ist ein Kooperationsprojekt des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Berliner Aufarbeitungsbeauftragten haben für den Blog geschrieben.


Der Rauch auf den Straßen der DDR hatte sich kaum verzogen, als die Konstruktion der Geschichte des 17. Juni 1953 begann.

Beide deutsche Staaten gingen sehr unterschiedlich mit den Geschehnissen um.

Verhaftungen und Todesfälle

In der DDR folgte unmittelbar nach den Ereignissen eine Verhaftungswelle. Bis Ende Juli wurden knapp 13.000 angebliche „Provokateure“ des Aufstands verhaftet. Die meisten waren nur kurz inhaftiert, für einige gab es jedoch langjährige Haftstrafen.

Die DDR fällte im Nachgang zwei Todesurteile, um angebliche „Antreiber“ des Aufstands zu bestrafen. Vom 17. bis 20. Juni wurden 18 Personen vom sowjetischen Militär standrechtlich erschossen.

Trotz des harten Durchgreifens, mit dem die SED-Führung ein Exempel zur Abschreckung statuieren wollte, bemühte sie sich gleichzeitig um den „Neuen Kurs“. Der sollte auch in der Justiz umgesetzt werden. Bis Oktober 1953 wurden deshalb rund 24.000 Häftlinge landesweit entlassen.

Feindlicher Putschversuch

Die ostdeutschen Machthaber befanden sich im Schockzustand. Nur mit Hilfe des sowjetischen Militärs hatte der Aufstand der eigenen Bevölkerung unterdrückt werden können. Hilf- und tatenlos hatten sie den Ereignissen gegenübergestanden. Dieses Bild konnten sie langfristig nicht auf sich sitzen lassen.

So begann bereits am Tag danach die Konstruktion des offiziellen Bildes vom 17. Juni. Ein Putschversuch, gesteuert und gelenkt von westlichen, feindlichen Kräften sei es gewesen, der den Frieden im Land gestört hätte. Tausende von Festnahmen ließen keinen Zweifel daran, wie ernst es der SED-Führung mit der Bestrafung der „Schuldigen“ war. Den Opfern des Aufstandes wurde nicht gedacht. Der Ausbau des Ministeriums für Staatssicherheit und die Umstrukturierung und bessere Schulung der Polizeikräfte waren ebenfalls Folgen aus den Ereignissen des 17. Juni.

Datei:Bundesarchiv Bild 183-20153-0001, Blumen für sowjetische Soldaten für Eingreifen am 17. Juni 1953.jpg
Bald nach dem Aufstand begann die Konstruktion des offiziellen Bildes als Putsch. Hier ein Zeitungsbild mit historischer Originalbeschreibung: „1.7.1953: Berliner danken den sowjetischen Soldaten. Immer wieder bringt die Berliner Bevölkerung den Angehörigen der Sowjetischen Armee ihren Dank für das überlegte Eingreifen am 17.6.1953, dem Tag der faschistischen Provokation, zum Ausdruck.“ Foto:
Bundesarchiv, Bild 183-20153-0001 / CC-BY-SA 3.0

Das Eingreifen der sowjetischen Truppen hinterließ auch in der Bevölkerung nachhaltige Spuren. Für die Protestierenden war deutlich geworden, dass Protest in diesem Land keine Chance hatte, solange die Sowjetunion vor Ort war. Die Ereignisse besaßen Strahlkraft bis in den Herbst 1989 hinein.

Nationaler Feiertag

Blick von der Straße des 17. Juni auf das Brandenburger Tor 1988, davor die Mauer. Foto: Roland Arhelger – eigenes Foto, CC BY-SA 4.0

Ganz anders wurde auf der anderen Seite der Grenze mit den Ereignissen des 17. Juni umgegangen. Bereits fünf Tage später, am 22. Juni, beschloss der West-Berliner Senat, die Charlottenburger Chaussee in „Straße des 17. Juni“ umzubenennen. Der Name blieb bis heute erhalten.

Acht Bürgerinnen und Bürger, die im Zuge des Aufstands in West-Berliner Krankenhäusern verstorben waren, wurden am 23. Juni in einer öffentlichen Trauerfeier vor dem Rathaus Schöneberg aufgebahrt. Anschließend erfolgte die feierliche Beisetzung auf dem Urnenfriedhof an der Seestraße.

Am 3. Juli wurde in der gesamten Bundesrepublik der 17. Juni als Nationalfeiertag eingeführt: Tag der Deutschen Einheit. 1990 schaffte die Bundesrepublik Deutschland den 17. Juni als Feiertag jedoch ab, zu Gunsten des neuen Tags der Deutschen Einheit, dem 3. Oktober.

Noch bis in die 1980er Jahre hinein wurden an zentralen Erinnerungsplätzen in West-Berlin Blumen abgelegt, beispielsweise an der Straße des 17. Juni, und Gedenkmärsche veranstaltet. Der West-Berliner Senat erinnerte jährlich in einer Gedenkveranstaltung an die Opfer des 17. Juni.

1990 gab es erstmals eine gemeinsame Gedenkveranstaltung beider Berliner Parlamente.

Gedenk- und Erinnerungsorte

„Den Opfern des 17. Juni 1953“: Foto vom Gedenkort auf dem Friedhof an der Seestraße;
BAB/Jens Schöne

In West-Berlin wurde der Friedhof an der Seestraße bereits kurz nach den Ereignissen zum zentralen Gedenkort. Hier wurden am 23. Juni 1953 die Opfer des Aufstandes, die in West-Berliner Krankenhäusern verstorben waren, beigesetzt. 1955 wurde der Gedenkort offiziell eingeweiht, um stellvertretend an alle Opfer aus Ost und West zu erinnern. Bis heute ist er alljährlich Schauplatz des zentralen Gedenkens der Bundesregierung und des Berliner Senats.

Auf der ehemaligen Ost-Berliner Seite der Stadt wurde erst 2013 ein Denkmal errichtet.

Zum 60. Jahrestag des Volksaufstandes wurde der Platz vor dem Bundesfinanzministerium (damals das Haus der Ministerien, der Sitz der Ost-Berliner Regierung) in „Platz des Volksaufstandes von 1953“ umbenannt. Ein in den Boden eingelassenes, großformatiges Foto erinnert als „Bodendenkmal“ an die Ereignisse.

Datei:17Juni Jena Holzmarkt.JPG
Gedenktafel für Alfred Diener am Holzmarkt in Jena.; Foto: evergreen, CC BY-SA 3.0.

In den ehemaligen ostdeutschen Bundesländern liegt es in der Natur der Sache, dass es bis 1990 keine Erinnerungsorte gab. Erst nach der Wiedervereinigung war eine Erinnerung an den 17. Juni möglich, die nicht vom Narrativ der SED vom faschistischen Putsch gefärbt war.

Im Zuge des 50. Jahrestags des Aufstands 2003 kam es landesweit zu Umbenennungen von Straßen oder Plätzen, zur Aufstellung von Gedenksteinen oder -tafeln. Damit wurden vielerorts das lokale Gedenken und die Erinnerung an einzelne, biographische Schicksale gestärkt.

Jana Birthelmer ist Kulturhistorikerin und Referentin für Historisch-politische Bildung beim Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB).

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