Demokratiegeschichten

Walter Poller – lebenslanges Eintreten für die Demokratie

Walter Poller wurde am 6. Januar 1900 in Kiel geboren und starb am 17. Oktober 1975 in Hagen.

Blick auf Jugend uns politische Sozialisation

Er stammt aus einer Kieler Arbeiterfamilie. Seine Familie ermöglichte ihm den Schulbesuch bis zur Mittleren Reife. Schon als Schüler war er Mitglied der Arbeiterjugend. Dort ist sein literarisches und politisches Interesse geweckt worden, welches für sein weiteres Leben von entscheidender Bedeutung war. Gerade 16 Jahre alt, wurde Poller Soldat und schloss sich im November 1918 dem Arbeiter- und Soldatenrat und gleichzeitig der SPD an. Poller absolvierte ein Pressevolontariat bei der „Kieler Arbeiterzeitung“. In dieser Zeit hörte er zudem als Gasthörer volkswirtschaftliche, historische und philosophische Vorlesungen an der Kieler Universität.

Beruflicher Werdegang in den Wirren der Weimarer Republik

Schon mit 19 Jahren wird Walter Poller mit der Leitung der Tageszeitung „Der Hammer“ in Hamm/ Westfalen betraut. Diese Zeitung gab der Bezirksleitung des Bergarbeiterverbands Hamm/ Westf. Nikolaus Osterroth heraus, sie erschien erstmalig am 13. Dezember 1919. Poller redigierte den „Hammer“ mit starkem Temperament sowie rhetorischer Begabung. Leidenschaftlich setzte er sich mit seinen Leitartikeln für die Belange der SPD und der Arbeiterschaft ein.

Als er versuchte, im Rahmen der Auseinandersetzungen am 1. und 2. April 1920 zwischen Angehörigen der „Roten Ruhrarmee“ und der Reichswehr über die Einstellung der Kämpfe im Raum Hamm zu vermitteln, geriet er in akute Lebensgefahr, weil die Kämpfer der Ruhrarmee ihn mit Erschießung bedrohten. Das hinderte Poller jedoch nicht daran, einen von Freikorpstruppen ermordeten Kämpfer der Ruhrarmee mit einer Grabrede zu ehren. So sehr hatte sich Poller Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Ausgleich auf die Fahnen geschrieben. Seit dem Erstarken der Nationalsozialisten richtete sich seine journalistische Arbeit gegen die Gefahr von rechts.

Walter Poller ca. 1960; Foto: Poller, Walter: Arztschreiber in Buchenwald, Hamburg 1960, Abbildung im Klappentext, Fotograf unbekannt, bei Anspruch an Bildrechte bitte melden.

In den Fängen der Nationalsozialisten

Zwei Monate nach der sogenannten Machtübernahme durch die NSDAP wurde Poller am 1. März 1933 zum ersten Mal in Schutzhaft genommen:

Ich sollte an diesem Tag als Stadtverordneter meines langjährigen Wohnortes eingeführt werden und hätte nach den parlamentarischen Gepflogenheiten mit meiner Stimme den Ausschlag meiner Partei im Stadtrat gegeben. […] Um dies zu verhindern, wurde ich „zu meiner eigenen Sicherheit“ verhaftet. Die Schutzhaft verbrachte ich unter formaler Beachtung der gesetzlichen Vorschriften in einer Einzelzelle des staatlichen Polizeigefängnisses. Sie dauerte acht Tage.

Poller: Arztschreiber, S. 12.

Einige Tage nach seiner Entlassung aus der Schutzhaft drangen SS-Leute in die Redaktionsräume des „Hammer“ ein, verwüsteten diese und zwangen Poller unter Misshandlungen das Büro zu verlassen.

Am 24. Juni 1933 wurde er wiederum verhaftet und anschließend für vierzehn Tage in das provisorische KZ Bergkamen-Schönhausen eingesperrt.

Postkarte: Wohlfahrtsgebäude Schönhausen in Bergkamen, Ansicht 1911/12; Foto: Stadtarchiv Bergkamen.

Betätigung im geheimen Widerstand

Walter Poller betätigte sich nach der Entlassung im geheimen Widerstand, fertigte Flugblätter an und hielt die Verbindung zu Gleichgesinnten. Er wurde jedoch durch einen Spitzel verraten und schilderte die Folgen des Verrats so:

In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 1934 wurde ich von fünf Angehörigen der Geheimen Staatspolizei in meiner Wohnung verhaftet. Ich hatte, in der Hauptsache gestützt auf Mitglieder meiner Partei, eine Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus organisiert. Es waren zwei der von mir verfassten Flugblätter durch den Polizeispitzel Maczek aus Wiescherhöfen bei Hamm/ Westfalen in die Hand der Gestapo gefallen. Ich wurde, mit Handschellen gefesselt, in eine stark verschmutzte Gitterzelle im Keller der Dortmunder Steinwache gesperrt und dann zahlreichen Vernehmungen unterzogen. Dabei wurde ich insgesamt siebzehnmal „hart“ vernommen, das heißt, bei siebzehn dieser Vernehmungen wurde der Versuch gemacht, mich durch Stock- und Gummiknüppelschläge auf den Rücken, das Gesäß, gegen die Schienbeine und gegen den Unterleib zu einem Geständnis zu bringen. Es gelang mir, meinen Vorsatz, keinen meiner Gesinnungsfreunde zu verraten oder zu belasten, durchzuführen.

Poller: Arztschreiber, S. 12-13.

Vor dem Oberlandesgericht Hamm, dem 3. Senat des Volksgerichtshofs, wurde er am 28. Juli 1935 verurteilt. In der Anklageschrift heißt es:

Die Strafe des Angeklagten Poller war aus §83 Abs. 3 Ziffer 3 StGB zu entnehmen, der eine Mindeststrafe von zwei Jahren Zuchthaus vorsieht. Er hat im Gegensatz zu allen anderen Angeklagten selbst eine Hetzschrift verfasst und verbreitet, die in ihrer Gehässigkeit gegenüber dem heutigen Staat kaum zu überbieten ist. Bei ihm erschien daher eine Zuchthausstrafe von vier Jahren als angemessene Sühne.

LAV NRW W, Q221a, Nr. 4671, S.3,  Generalstaatsanwaltschaft Hamm, Erstinstanzliche Strafsachen 1933-45.

KZ-Haft in Buchenwald

Nach Verbüßung der Strafhaft am 18. Dezember 1938 wurde Poller nicht entlassen, sondern sofort wieder verhaftet und am 18. Dezember 1938 in das KZ Buchenwald eingeliefert. Er erlitt dort bei der Arbeit im Steinbruch höllische Qualen und war dem Tod sehr nah. Politische Freude im KZ ermöglichten es, dass er als Schreiber im Sanitätsbereich eingesetzt wurde. Aufgrund mehrfacher Gnadengesuche seines Sohnes, der in der Wehrmacht diente, entließ ihn die SS am 9. Mai 1940 aus dem KZ. Die grausamen Erlebnisse in Buchenwald hielt Walter Poller in seinem Buch „Arztschreiber in Buchenwald“ fest, sie haben ihn nie mehr losgelassen:

Ich habe während meiner Haftzeit viele harte und grausame Dinge durchgestanden, Dinge, die sich schwer auf meine Seele legten und mich wohl nie wieder freilassen werden.


Poller: Arztschreiber, S. 204.

Chefredakteur der „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund

Nach kurzer Zwischenstation als SPD-Parteisekretär wurde Poller zum Chefredakteur der „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund bestellt. Er nahm dort als Journalist seinen Kampf für die Demokratie sofort wieder auf:

Für ihn bedeutete dies ebenso einen Kampf gegen alle Einflüsse, die nationalsozialistisches Gedankengut auch nach 1945 noch in Deutschland ausübten.

Die furchtbaren Verbrechen der Nationalsozialisten haben unsere Jugend ausgehöhlt und ihren Idealismus freventlich missbraucht.


Zeitungs- und Pressearchiv der ULB Münster: Y 36, Westfälische Rundschau: Leitartikel vom 20.3.1946.

Es gelte jetzt: „Ein neues Haus zu bauen, in dem jeder frei von Furcht und frei von Not leben kann“, so Poller im Leitartikel der „Westfälischen Rundschau“ vom 20. März 1946.

Bedrückend waren für Poller die moralischen Verwüstungen durch die Nazi-Diktatur, und er sprach schon unmittelbar nach Kriegsende das aus, was später auch die offizielle Politik der Bundesrepublik wurde: Dass die Deutschen aufgerufen seien,

einen Beitrag zum Frieden zu leisten, denn an ihnen zerbrach 1939 der Frieden.


Westfälische Rundschau: Leitartikel vom 20.3.1946.

Walter Poller litt wohl unter posttraumatischen Belastungsstörungen, die um 1960 nicht mehr zu verschweigen waren. Er wurde mit Jahresbeginn 1961 aus den Diensten der Zeitung entlassen.

Nach jahrelanger psychischer Erkrankung starb Walter Poller am 17. Oktober 1975.

Peter Schäfer ist nach unternehmerischer Tätigkeit und nach langjähriger Zeit als Kommunalpolitiker seit dem Wintersemester 2009/10 im Studium des Alters an der WWW-Münster. Schwerpunkte seines Studium sind Geschichte, Politik und Sozialwissenschaften.

Der ungekürzte Beitrag zu Walter Poller kann hier gelesen werden. Eine weitere Demokratiegeschichte von Peter Schäfer ist „Zwischen Kaiserreich und Ende der Weimarer Republik – Das politische Leben und Wirken von Nikolaus Osterroth“.

Artikel Drucken
Markiert in:
Über uns 

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert