Demokratiegeschichten

1. April 1924: Ende des Hitler-Prozess

„Was wäre gewesen, wenn …?“

Diese Frage haben sich bestimmt schon einige von uns gestellt. Und zwar nicht nur die Historiker:innen unter uns.

Eigentlich bringt es nichts, sich den Kopf über alternative Vergangenheit(en) zu zerbrechen. Aber manchmal, wenn ich ein Thema recherchiere, kommt die Frage doch hoch.

So auch beim heutigen Thema. Vor 98 Jahren, am 1. April 1924, wurde das Urteil im Hitler-Prozess gesprochen. Dabei, könnte man sagen, handelte es sich um einen besonders schlechten Aprilscherz. Das Urteil fiel unverhältnismäßig milde aus (doch dazu später mehr). Und ich frage mich: Was wäre gewesen, wenn ein anderes Urteil gefällt worden wäre? Ein härteres. Wenn ein anderer Mensch Richter gewesen wäre?

Hintergrund: Der gescheiterte Hitler-Putsch 1923

Doch erstmal der Reihe nach. Wofür stand Hitler denn überhaupt vor Gericht`?

File:Bundesarchiv Bild 102-00104, Inflation, Tapezieren mit Geldscheinen.jpg
Originaltitel: Tapezieren einer Wand mit Ein-Markscheinen welche heute um vieles billiger sind als eine TapeteFoto:
Bundesarchiv, Bild 102-00104 / Pahl, Georg / CC-BY-SA 3.0.

Im Herbst 1923 schien die Weimarer Republik von einer Krise in die nächste zu schlittern. Sie befand sich in einer Hyperinflation, einer Spätfolge des Ersten Weltkriegs. Geld war praktisch wertlos und wurde unter anderem als Heizmaterial und Spielgeld zweckentfremdet.

Die republikfeindliche Stimmung nutzten verschiedene Organisationen, um sich gegen die Regierung zu stellen. So bildeten sich beispielsweise in Sachsen und Thüringen „proletarische Arbeiterregierungen“. Auch Bayern ging einen scharfen Konfrontationskurs zur demokratischen Reichsregierung in Berlin ein. Hier taten sich insbesondere die rechtsgerichteten völkischen und extrem konservativen Kräfte zusammen. Diese erhielten oft Unterstützung oder Deckung von Sympathisierenden in Regierungsämtern.

Adolf Hitler, Leiter der NSDAP und Führer des „Deutschen Kampfbundes“, war zu diesem Zeitpunkt in München aktiv. Auch der Generalstaatskommissar Gustav von Kahr, Generalleutnant Otto von Lossow, Landeskommandant der Reichswehr in Bayern und Befehlshaber des Wehrkreises VII (München), und Hans von Seißer, Kommandeur der bayerischen Polizei, verfolgten Pläne für einen politischen Umsturz. In Anlehnung an Mussolinis „Marsch auf Rom“ wollten sie mit einem „Marsch auf Berlin“ von Bayern aus die Republik in ganz Deutschland stürzen. Als Hitler erfährt, dass der Marsch ohne ihn stattfinden soll, ruft er kurzfristig die „Nationale Revolution“ aus.

Originalbeschreibung: Hitler Putsch (8.-9.11.1923). – Stoßtrupp Hitlers verhaftet sozialistische Stadträte; Foto: Bundesarchiv, Bild 146-2007-0003 / CC-BY-SA 3.0.

Der spontan am 8. November gestartete Putsch geriet zu einem Desaster. Zwar schaffte es Hitler, General Erich Luddendorf zur Hilfe zu holen und mehrere Tausend Anhänger:innen zu mobilisieren. Doch der Marsch endete vor der Feldherrenhalle im Kugelhagel der Polizei. Vier Polizisten und 16 Putschisten starben. Nicht einmal einen Tag konnten Hitlers Anhänger:innen die Macht in Bayerns Hauptstadt halten. Die NSDAP wurde verboten. Allerdings verstanden es ihre Sympathisant:inenn, den Putsch propagandistisch auszuschlachten. Hitler erklärten sie zum gescheiterten Befreier, die Regierung Weimars zu „Novemberverbrechern“ am deutschen Volk.

Der Prozess: Viel lief falsch

Nach einem ergebnisoffenen Prozess sah es von Anfang an nicht aus. Dafür standen zu viele Punkte auf Seiten der Angeklagten. Beispielsweise wäre eigentlich das Reichsgericht in Leipzig für den Prozess zuständig gewesen. Doch die bayrische Regierung ignorierte dies bewusst und erklärte das bayerische Volksgericht für zuständig. Dessen Bestehen war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verfassungsgemäß.

Die Laienrichter, deren Stimmen für eine Urteilsfindung vonnöten waren, waren voreingenommen. Sie erklärten von Anfang an, nur ihre Zustimmung zu geben, wenn Hitlers Strafe zur Bewährung ausgeschrieben würde.

Für die Legung des Prozesses an dieses Gericht hatte die bayrische Regierung allerdings einen guten Grund. Sie wollte verhindern, dass die Verstrickung hoher Staatsbeamter (von Kahr, von Lossow und von Seißer) bekannt würde.

Der Richter

Wenn noch Zweifel an der Parteilichkeit des Gerichtes bestanden, reichte ein Blick auf den vorsitzenden Richter aus. Georg Neithardt, der Hitler schon bei früheren Prozessen milde behandelt hatte, handelte in diesem Prozess im Sinne der rechten Angeklagten.

Neithardt hatte bereits 1920 den Vorsitz im Prozess gegen den Mörder Kurt Eisners, Anton Graf von Arco, inne. Im Gegensatz zu seinen Urteilen gegen Angeklagte aus dem sozialistischen und kommunistischen Millieu zeigte er gegenüber dem rechtsradikalen Mörder auffallende milde. Zwar verhängte Neithardt die Todesstrafe, doch machte im Urteilsspruch deutlich, dass diese nicht ernst gemeint war:

„Von einer Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte konnte natürlich keine Rede sein, weil die Handlungsweise des jungen politisch unmündigen Mannes nicht niedriger Gesinnung, sondern der glühenden Liebe zu seinem Volke und Vaterland entsprang […] und Ausfluß der in weiten Volkskreisen herrschenden Empörung über Eisner war.“

Schon am nächsten Tag wurde der Mörder folgerichtig durch die bayerische Landesregierung zu lebenslanger Festungshaft begnadigt.

Im Prozess gegen die Angeklagten des Putsches begegnete Neithardt diesen ausgesprochen wohlwollend. Mehrmals gab er Hitler Gelegenheit zu langen Propagandareden und ließ diesen die Zeugen der Anklage quasi ins Kreuzverhör nehmen.

„Ich habe natürlich das Bestreben und erkenne an, dass es im Interesse der Angeklagten liegt, möglichst vor breiter Öffentlichkeit zu verhandeln. Das Gericht wird dem selbstverständlich, soweit es möglich ist, Rechnung tragen.“

Richter Georg Neithardt zu Beginn des Prozesses

Zudem stellte Neithardt Fragen so, dass sich den Angeklagten die entlastenden Aussagen nahezu aufdrängten. Er vereidigte außerdem nur die Zeugen der Verteidigung, aber nicht die der Anklage. Auch Meinungsäußerungen aus dem Publikum, das weitestgehend hinter den Angeklagten stand, unterband er nicht.

Das Urteil

Foto, das nach dem Prozess aufgenommen wurde; v.l.n.r: Heinz Pernet, Friedrich Weber, Wilhelm Frick, Hermann Kriebel, Erich Ludendorff, Adolf Hitler, Wilhelm Brückner, Ernst Röhm, Robert Wagner

Eine Verurteilung als Hochverräter hätte im härtesten Fall mit der Todesstrafe einhergehen können. Doch Hitler und drei der Angeklagten erhielten lediglich die Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft. Zusätzlich mussten sie eine Geldstrafe von 200 Goldmark zahlen. Nach Verbüßung von sechs Monaten konnte der Strafrest auf Bewährung gestellt werden. Tatsächlich verließ Hitler nach neun Monaten die Festungshaft in Landsberg, in dieser Zeit schrieb er sein Buch „Mein Kampf“.

Weitere Angeklagte erhielten geringere Haftstrafen. General Luddendorf wurde sogar freigesprochen, wogegen er heftig protestierte:

Ich empfinde diesen Freispruch als eine Schande für den Rock und für die Ehrenzeichen, die ich trage, gegenüber meinen Kameraden.[

Für das geringe Strafmaß waren weitere Unterlassungen der Justiz entscheidend. Über die beim Putschversuch getöteten Polizisten fiel kein Wort. Auch die Vorstrafen Hitlers – er war 1922 wegen Landfriedensbruch verurteilt worden und stand bereits unter Bewährung – wurden in dessen Strafmaß nicht einbezogen. Ebenso sah das Gericht von der Ausweisung Hitlers als Ausländer nach § 9 Absatz 2 des Gesetzes zum Schutze der Republik ausdrücklich ab. Neithardt erklärte dazu, eine Ausweisung sei unmöglich, weil Hitler sich als Deutscher fühle und Kriegsdienst für die deutsche Armee geleistet habe.

Auswirkungen

Eine Ausgabe der „München-Augsburger Abendzeitung“ ausgestellt in der Kongresshalle Nürnberg auf dem Reichsparteitagsgelände.

Dass die Justiz nicht wirklich an der Aufklärung der Vorgänge gelegen war, war der anwesenden Presse bald bewusst. Scharf verurteilten demokratisch gesinnte Zeitungen die Prozessführung und das milde Urteil.

Gleichzeitig nutzte die nun verbotene NSDAP den Prozess, um Stimmung gegen die Weimarer Demokratie zu machen. Das Urteil wurde als Triumph gefeiert; statt an Unterstützung zu verlieren, gewann die rechte Bewegung an Sympathisierenden dazu.

Die Berichterstattung und die rechte Propaganda hatten daher auch erhebliche Auswirkungen auf den Landtagswahlkampf. Am 6. April wurde in Bayern gewählt. In dieser Wahl büßten die demokratische Parteien maßgeblich an Stimmen ein, während die national völkischen Parteien zulegten.

Was wäre gewesen, wenn ein härteres Urteil gefällt worden wäre? Wenn ein anderer Mann Richter gewesen wäre? Hätte dies den Aufstieg der NSDAP wenige Jahre später verhindern können?

Darüber lässt sich auch heute leider nur spekulieren.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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