Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Das vergebliche Verbot der Freikorps

„Amtlich wird gemeldet:

Die Reichsregierung hat auf Grund des Gesetzes vom 22. März 1921 die Auflösung der Organisationen von Roßbach, Hubertus, Aulock, Heydebreck und Oberland ausgesprochen.“

Freikorps/Reichswehr Aufmarsch des Freikorps Oberland in [München], [1919], Bundesarchiv Bild Y 1-548-12394, Foto: o. Angabe

Die bürgerliche Regierung unter Reichskanzler Josef Wirth von der katholischen Zentrumspartei will Organisationen auflösen, die die die Republik gewaltsam bekämpfen. Die Reichsregierung habe sämtliche Tätigkeiten der nun verbotenen Organisationen überprüft und diese im Ergebnis verbieten müssen, berichtet der sozialdemokratische „Vorwärts“. Das Verbot erstrecke sich ausdrücklich auch auf etwaige Nachfolgeorganisationen. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis- oder Festungshaft bis zu drei Monaten bedroht.

Das Londoner Ultimatum

Das Verbot vom November 1921 ist keine Reaktion auf die Ermordung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger drei Monate zuvor.

Proteste gegen das Londoner Ultimatum, Mai 1921. Quelle: Bundesarchiv Bild Plak 002-030-009-T2


Vielmehr reagiert die Regierung in Berlin auf das „Londoner Ultimatum“ der Siegermächte vom Mai 1921. Die Alliierten verlangen unter anderem die Demilitarisierung Deutschlands, sonst drohen sie mit der Besetzung des Ruhrgebiets. Die Regierung Wirth verspricht zwar, das Ultimatum zu erfüllen. Aber die paramilitärischen Freikorps, aus deren Reihen politische Morde verübt werden, unterlaufen die Demilitarisierung. Die Regierung reagiert erst im November mit dem Verbot der Organisationen. Die Zeitung der unabhängigen Sozialdemokraten, die „Freiheit“, kommentiert skeptisch:

„Die Auflösung dieser gegenrevolutionären Organisationen […] kommt reichlich spät. Und sie kommt wieder, wie so vieles in der deutschen Republik, nicht aus eigner Machtvollkommenheit, sondern auf Geheiß der Entente. Wir wollen aber schon jetzt betonen, daß es nicht genügt, die Auflösungsverordnung in die Welt zu setzen. […]

Der Selbsterhaltungstrieb der Republik erforderte es, daß man diese Landknechtshorden längst auflöste. Man hat sich von außen dazu zwingen lassen. Auch kein Ruhmesblatt der Republik.“

Umgehung des Verbots

Wie berechtigt der Argwohn der „Freiheit“ ist, wird sich bald zeigen. So lässt sich das Freikorps Oberland ab Dezember 1921 unter dem Namen „Bund Oberland e. V.“ ins Vereinsregister eintragen und hält sogar in der offiziellen Satzung ungestraft am Ziel des Kampfes gegen den Versailler Vertrag fest – Konsequenzen hat dies nicht. Auch die „Brigade Roßbach“ existiert unter anderen Namen unbehelligt weiter. Beide Organisationen veranstalten Feiern, zu denen sie öffentlich einladen. Auch das: ohne Konsequenzen. Die „Freiheit“ stellt im Februar 1922 fest:

„Wohl wurden sogar Ausnahmeverordnungen gegen das Fortbestehen der militärischen Banden erlassen. Aber sie wurden im Gegensatz zu den Ausnahmeverordnungen der Regierung gegen die Arbeiter nie angewendet.“

Zentralbild: Freikorps-Führer, Oberleutnant Gerhard Roßbach, (rechts stehend) mit seinen Leuten bei einer Feldübung in der Umgebung Münchens, 1923. 1312-25 (Originaltitel), Bundesarchiv Bild 183-R27208 , Foto: o. Angabe

Beispiel: Brigade Roßbach

Der „Vorwärts“ berichtet von einer Versammlung der „Rossbacher“ vom 23. November 1922 in München – ein Jahr nach dem Verbot:

„Unter frenetischem Jubel erschien Roßbach. Er gab eine Geschichte seines Freikorps und machte sich lustig darüber, daß die Regierung seine Vereinigung nicht so schnell auflösen könne, wie er sie gründe. ‚In einem Jahr werden wir wieder einige Male aufgelöst sein und dennoch weiter bestehen.‘ […]

Dann gab er seiner Freude darüber Ausdruck, daß es so schön sei, auch unter den Gesetzen zum Schutz der Republik jeden Tag zeigen zu können, ‚daß wir trotzdem noch leben wollen‘.“

Dass der Redner Gerhard Roßbach erst Tage zuvor inhaftiert gewesen war, ist für ihn kein Grund, vorsichtig zu sein. Erst nach seiner Beteiligung am Hitler-Putsch im November 1923 flüchtet er nach Österreich, aber nur für kurze Zeit. Er kehrt bald wieder zurück.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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