Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord: Kapp-Putschisten vor Gericht

„Im Jagow-Prozeß wurde heute nachmittag 4 1/2 Uhr das Urteil des Reichsgerichts verkündet. Der Angeklagte v. Jagow wurde wegen Beihilfe zum Verbrechen des Hochverrats zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. […]Der Angeklagte v. Jagow wurde durch den Oberreichsanwalt sofort in Haft genommen.“

ADN-ZB/Archiv Konterrevolutionärer Kapp-Putsch vom 13. – 17.3.1920 in Berlin. Die etwa 5.000 Mann starke Marinebrigade II unter dem Befehl von Kapitän Hermann Ehrhardt marschiert, aus Döberitz kommend, in den frühen Morgenstunden des 13. März in Berlin ein. Die Brigade bildet die Militärische Stoßkraft des von Wolfgang Kapp und General Walther von Lüttwitz geführten Putsches. Truppen der Putschisten riegeln das besetzte Regierungsviertel ab, hier Posten am Wilhelmplatz. Quelle: Bundesarchiv Bild 183-J0305-0600-003, Foto: o. Angabe

Das berichtet die Morgenausgabe des sozialdemokratischen „Vorwärts“ am 22. Dezember 1921. Der verurteilte Traugott von Jagow ist einer der prominenten Zivilisten, die im März 1920 den Kapp-Lüttwitz-Putsch unterstützten – den gescheiterten Versuch, die demokratisch gewählte Regierung durch eine Militärregierung zu ersetzen. Der Putsch hatte Hunderte Menschen das Leben gekostet, trotzdem hat er für die Verantwortlichen kaum juristische Folgen.

Die unterlassene Verfolgung der Putschisten

Schon im August 1920, kurz nach dem Putsch, erließ die Reichsregierung eine Amnestie. Laut dieser sollen nur Hauptverantwortliche im engen Kreis der Putschisten bestraft werden. Traugott von Jagow steht als Innenminister der Putsch-Regierung vor Gericht. Deshalb ist in seinem Fall die führende Rolle beim Putsch klar. Aufgrund der Amnestieregelung ermittelt man neben von Jagow nur gegen sieben weitere Anführer, aber deren Aufenthaltsort ist angeblich unbekannt.

ADN-ZB/Archiv Konterrevolutionärer Kapp-Putsch vom 13.-17.3.1920 in Berlin. Die etwa 5.000 Mann starke Marinebrigade II unter dem Befehl von Kapitän Hermann Ehrhardt marschiert, aus Döberitz kommend, in den frühen Morgenstunden des 13. März in Berlin ein. Die Brigade bildet die militärische Stoßkraft des von Wolfgang Kapp und General Walther von Lüttwitz geführten Putsches. Kapitän Ehrhardt (links, im Auto sitzend) beim Einmarsch der Marinebrigade am 13. März in Berlin. 12289-24 [Scherl Bilderdienst], Quelle: Bundesarchiv Bild 183-R26033, Foto: o. Angabe.

In Wahrheit halten sich einige von ihnen – Hermann Ehrhardt, Max Bauer und Wilhelm Pabst – zumindest zeitweise unbehelligt in Bayern auf.

„Gleiches Recht für alle“

Der ehemalige preußische Beamte von Jagow hat sich nicht versteckt, sondern offen zu seinem Tun bekannt. Er hatte sich schon kurz nach dem Scheitern des Putsches mit einer Darstellung zu Wort gemeldet, die dokumentiert, wie er zur Republik steht:

„Die Gegenrevolution ist ein rein militärisches Unternehmen. […] Das Zivil war völlig unbeteiligt.

Wohl aber bin ich, sind andere gefragt worden, ob sie sich für den Fall des Gelingens der auf jeden Fall stattfindenden Gegenrevolution zur aufbauenden Mitarbeit zur Verfügung stellten. Ich bejahte und würde der Selbstachtung bar sein, hätte ich anders geantwortet.

Ob politische Gegner mich erschießen, ist mir gleichgültig. Aber in die Form eines Rechtsverfahrens mögen sie es nicht kleiden. Entweder gelten die Hochverratsparagraphen des Reichsstrafgesetzbuches, dann waren sie gegen die Männer vom 9. November anzuwenden […], oder sie sind eben durch die Novemberrevolution beseitigt. Gleiches Recht für alle.“

Traugott von Jagow – der Berliner Polizeipräsident im Urlaub in Oberhof, 1913, Quelle: Bundesarchiv Bild 183-2018-0605-500, Foto: o. Angabe

Nur ein Verantwortlicher?

Von Jagow handelt Anfang 1921 mit den Justizbehörden eine Kaution von 500.000 Reichsmark aus und stellt sich den polizeilichen Vernehmungen. Auch als die Einleitung des Verfahrens im August 1921 beginnt, verzichtet das Reichsgericht darauf, Jagow in Untersuchungshaft zu nehmen, da keine Fluchtgefahr bestehe. Nach einigen Verzögerungen beginnt die Verhandlung vor dem Reichsgericht am 7. Dezember 1921. Bereits nach wenigen Verhandlungstagen endet der Prozess. In seinem Abschlussplädoyer stellt Oberreichsanwalt Ludwig Ebermayer fest – mit „erfreulicher Frische“, wie der „Vorwärts“ bemerkt:

„Wenn wir betrachten, was die Angeklagten getan haben, und wenn wir ihre Persönlichkeit in Rechnung ziehen, so besteht kein Zweifel, daß sie Führer im Sinne der Amnestie sind und infolgedessen von der Amnestie ausgeschlossen sind. […] Damit sind alle Voraussetzungen zur Verurteilung erfüllt.“

Das Gericht aber folgt der Argumentation des Oberreichsanwalts nicht: Zwei Angeklagte verlassen das Gericht als freie Männer. Traugott von Jagow wird zwar verurteilt, aber er kommt mit fünf Jahren Festungshaft glimpflich davon. Schon nach drei Jahren folgt seine Begnadigung. Alle anderen Beteiligten am Kapp-Putsch müssen nie vor Gericht erscheinen.

Fast genau zwei Jahre später wird es den nächsten gescheiterten Putschversuch von Rechtsextremisten geben: den Hitler-Ludendorff-Putsch am 9. November 1923. Auch nach diesem Putschversuch machen die Rechtsextremisten, die mit Gewalt die politische Ordnung beseitigen wollen, die Erfahrung: Ihnen drohen in der Weimarer Republik kaum Konsequenzen durch den Rechtsstaat.


Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland. Folge 19 zum Nachhören.

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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