Demokratiegeschichten

Flucht aus der DDR: Mit Fahrzeugen über die Grenze

In der Reihe Flucht aus der DDR möchten wir Geschichten von Menschen erzählen, die aus der DDR geflohen sind, um ihren Traum eines demokratischen Lebens zu verwirklichen. Die Fluchtversuche wurden auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen unternommen. Was sie alle eint, ist der unglaubliche Mut derjenigen, die bereit sind, ihr Zuhause zurückzulassen und alles aufs Spiel zu setzen, um ein Leben in Freiheit führen zu können.

Bei vielen DDR-Fluchtgeschichten spielen die verschiedensten Hilfsmittel eine entscheidende Rolle. So kommen etwa Seile und Schaufeln zum Einsatz – oder auch ganze Fahrzeuge. Bisweilen präparieren die Fluchtwilligen sie für diesen einen Zweck.

Von PKW über Bus…

Die mit Stahlplatten verstärkte Windschutzscheibe des Fluchtfahrzeugs vom 14. November 1961, Foto: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin

So versuchen beispielsweise fünf Ost-Berliner*innen am 14. November 1961 mit einem PKW, den sie zuvor mit Stahlplatten verstärkt haben, über den Grenzübergang Chausseestraße zu fliehen. Die Grenzpolizisten erkennen aber die Fluchtabsicht und feuern auf den sich schnell nähernden Wagen. Dieser wird zwar beschädigt, aber die drei Frauen und zwei Männer gelangen erfolgreich in den West-Teil der Stadt.

Ein aufgedeckter Fluchtversuch im Kofferraum eines PKW (frühe 1980er Jahre), Foto: BStUMfSHA XXFoNr. 113, Bild 10

PKW sind sicherlich die am meisten genutzte Art von Fluchtfahrzeug, aber bei weitem nicht die einzige. So hört Ende 1961 der Lokführer Harry Deterling davon, dass bald ein aktuell noch befahrbares Gleis nach West-Berlin unterbrochen werden soll. Daraufhin beschließt er, mit seiner Frau und den vier Kindern über diese Verbindung aus der DDR zu fliehen.

Am 5. Dezember bietet er Freunden und Verwandten an, sich der am gleichen Tag stattfindenden Flucht mit dem „letzten Zug in die Freiheit“ anzuschließen. Abends passiert der Zug dann wie geplant den Endbahnhof Albrechtshof und fährt dann unbehelligt über die Grenze. Er hält erst in West-Berlin. 25 Mitfahrende bleiben im Westen, sieben gehen freiwillig zurück in den Osten. Direkt am nächsten Tag lässt die DDR-Regierung die Strecke unwiderruflich unterbrechen.

…bis Schützenpanzer

„Den Feind mit seinen eigenen Waffen schlagen“ könnte das Motto von Wolfgang Engels bei seiner Flucht sein. Mit einem gestohlenen sowjetischen Schützenpanzer rast der 19-Jährige am 17. April 1963 zwischen Treptow und Neukölln in die Mauer. Sein offensichtliches Ziel ist es, sie zu durchbrechen. Das Fahrzeug bleibt aber stecken, woraufhin Engels aussteigt und versucht, über die Mauer zu klettern. Dabei bleibt er im Stacheldrahtzaun hängen und wird von einem DDR-Grenzpolizisten mehrmals angeschossen. Schwer verletzt gelangt er am Ende aber auf die andere Seite.

Die provisorisch reparierte Stelle der Berliner Mauer, an der Engels im April 1963 die Flucht mit einem gestohlenen Schützenpanzer glückt, Foto: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin

Weniger Erfolg haben acht junge Ost-Berliner am 12. Mai 1963. Mit einem gestohlenen Linienbus wollen sie die Grenze am Übergang Invalidenstraße überwinden. Die Grenzsoldaten eröffnen sofort das Feuer, als sich das Fahrzeug nähert. Vollkommen zerschossen und fahruntauglich kracht der Bus in die Panzermauer. Drei Passagiere, unter anderem der Fahrer, sind verletzt. Alle Flüchtenden werden anschließend verhaftet und erhalten Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren.

Vom Todesstreifen in die Freiheit

Für eine erfolgreiche Flucht ist der richtige Ort und Zeitpunkt entscheidend. Und auch wenn der Todesstreifen von so wenig Menschen wie möglich betreten werden soll, gibt es dort doch die ein oder andere Arbeit zu erledigen. Am 9. September 1963 etwa sind zwei DDR-Grenzpolizisten mit Planierungsarbeiten im Todesstreifen in Falkensee beschäftigt. Nach getaner Arbeit fahren sie kurzerhand mit ihrer Planierungsraupe direkt an die Speeranlagen heran, übersteigen mehrere Zäune und flüchten unbemerkt in den Westen.

Am 18. Oktober 1963 gelingt einem DDR-Grenzpolizisten mit dieser Raupe die Flucht – zum Stehen gekommen halb in West, halb in Ost, Foto: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin

Doch auch mit der Hilfe von tonnenschweren Fahrzeugen gelingt nicht jede Flucht. So versuchen am 21. November 1983 ein VEB-Kraftfahrer und ein Lehrling aus Magdeburg mit einem Tanklastwagen über den Grenzübergang Marienborn zu flüchten. Mit knapp 100 km/h schaffen sie es zwar, alle Schranken zu durchbrechen, treffen dann aber auf eine KfZ-Rollsperre, die genau solche Vorfälle verhindern soll. Der LKW wird gestoppt und massiv beschädigt. Die zwei Flüchtenden versuchen dann zwar noch, zu Fuß zu entkommen, werden aber von Maschinenpistolenschüssen verletzt und schließlich festgenommen.

Im Verborgenen

Nicht nur mit roher Gewalt versuchen Menschen die Grenze zu überwinden. Manche sehen mehr Sinn darin, sich vor einem übermächtigen Feind zu verstecken, als die direkte Konfrontation mit ihm zu suchen. So schaffen es beispielsweise im Januar 1965 sechs Flüchtende in zwei Meter hohen Kabelrollen versteckt nach Westdeutschland.

Die Rollen werden in einem LKW über den Grenzübergang Marienborn/Helmstedt gebracht, nachdem West-Berliner Helfende einen unauffälligen Einstieg in die Rollen gesägt hatten. Diese Fluchtmethode wird jedoch nach Kurzem an die Stasi verraten und somit für künftige Flüchtende zu gefährlich.

Nachdem Harry Deterling und seinen Mitflüchtenden im Dezember 1961 noch die Flucht über dieses Bahngleis gelungen war, wird es anschließend unpassierbar gemacht, Foto: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin

Eines der wohl ungewöhnlichsten Fluchthilfsmittel kommt im Sommer 1969 zum Einsatz. Am 7. Juli versteckt sich eine junge Frau aus Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) in einer präparierten Kuh, die eigentlich als Ausstellungsstück dient. Ihr Verlobter im Westen hat bereits 5.000 D-Mark an die Fluchthelfer*innen bezahlt, die nochmal so viel bekommen werden, wenn die Flucht gelingt.

In einer Holzkiste verpackt soll die Kuh auf einem LKW in den Westen gebracht werden, doch am Grenzübergang Drewitz wird das ungewöhnliche Versteck entdeckt. Die Fluchthelfer*innen werden zu mehr als drei, die Flüchtende zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Doch glücklicherweise kauft die Bundesrepublik nach wenigen Monaten zumindest die junge Frau frei.

Artikel Drucken
Markiert in:,
Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert