Demokratiegeschichten

Feministische Friedensforderungen – der Internationale Frauenkongress 1915

Als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, sind sich die verschiedenen Gruppierungen, Organisationen und Strömungen innerhalb der Frauenbewegung zunächst uneins, wie damit umzugehen sei. Manche sprechen sich dafür aus, die jeweils eigene Nation und ihre Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Andere wiederum sehen ein schnellstmögliches Ende des Krieges als ihr wichtigstes Ziel an. Letztere planen, ganz im Sinne der friedlichen Völkerverständigung, ihr Anliegen in Form einer internationalen Versammlung voranzubringen.

Anreise unter erschwerten Bedingungen

So laden Anfang 1915 bürgerliche Frauenrechtlerinnen aus den im Weltkrieg neutralen Niederlanden zu einer solchen Konferenz nach Den Haag ein, auch weil ein eigentlich in Berlin geplanter Kongress nicht stattfindet. Aufgrund der Kriegssituation können (oder wollen) tatsächlich nicht alle eingeladenen Frauenrechtlerinnen anreisen. Die Französinnen beispielsweise, aber auch manche Vereinigungen aus Deutschland, lehnen die politische Neutralität des Kongresses ab. England wiederum verweigert dem größten Teil seiner Teilnehmerinnen die Ausreise.

Deutsche Einladung zum Internationalen Frauenkongress in Den Haag (1915). Quelle: Archiv der deutschen Frauenbewegung, gemeinfrei

Nichtsdestotrotz kommen über 1.200 Frauenrechtlerinnen aus zwölf, teilweise am Weltkrieg beteiligten Nationen Ende April 1915 in Den Haag zusammen. Vertreten sind die Niederlande (was aus logistischen Gründen mit über 1.000 Teilnehmerinnen die größte Gruppe stellt), die USA, das Deutsche Reich, Schweden, Norwegen, Ungarn, Österreich, Dänemark, Belgien, Großbritannien, Kanada und Italien.

Die feierliche Eröffnung findet am 27. April abends im gleichen Gebäude statt, in dem auch die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 stattfanden. Der Rahmen ist also gesetzt! Die Teilnehmerinnen tagen dann bis zum 1. Mai im Konferenzsaal des Tierparks, der ausreichend Platz bietet für alle Eingeladenen. Den Vorsitz hat die US-Amerikanerin Jane Addams, die international großes Ansehen genießt. Abends finden zusätzlich Veranstaltungen für die breite Öffentlichkeit statt, an denen bis zu 2.400 Gäste teilnehmen. Nur hier sind auch Männer zugelassen.

Konkrete Ziele

„Wir Frauen aus vielen Ländern, zum internationalen Kongresse versammelt, erklären hierdurch über allen Hass und Hader hinaus, der jetzt die Welt erfüllt, uns in der gemeinsamen Liebe zu den Idealen der Gesittung und Kultur verbunden zu fühlen, auch, wo unsere Ziele auseinandergehen. Wir erklären feierlich, jeder Neigung zu Feindschaft und Rache zu widerstehen, dagegen alles Mögliche zu tun, um gegenseitiges Verständnis und guten Willen zwischen den Nationen herzustellen und für die Wiederversöhnung der Völker zu wirken. Wir erklären: Der Lehrsatz, Kriege seien nicht zu vermeiden, ist sowohl eine Verneinung der Souveränität des Verstandes als ein Verrat der tiefsten Triebe des menschlichen Herzens. Von der innigsten Teilnahme beseelt für die Leidenden, Trostlosen und Unterdrückten, fordern wir, Mitglieder dieses Kongresses, die Frauen aller Nationen feierlichst auf, für ihre eigene Befreiung zu arbeiten und unaufhörlich für einen gerechten und dauernden Frieden zu wirken.“

Diese gemeinsame Erklärung ergänzen die Frauenrechtlerinnen um weitere konkrete Punkte und Ausführungen. In ihnen erläutern sie ihre Forderungen an die internationale Gemeinschaft nach einem Ende des Weltkriegs, nach der Verbesserung der Lebenssituation von Frauen sowie die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes und einer internationalen Organisation zur Schlichtung von Konflikten.

Feminismus, Pazifismus und Demokratie

Die Frauenrechtlerin Jane Addams (um 1914). Quelle: Library of Congress, gemeinfrei

Darin plädieren sie außerdem für die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung und eine weltweite Kontrolle des Waffenhandels. Des Weiteren appellieren sie an die im Krieg neutralen Staaten. Diese sollten sich bemühen, zwischen den kriegführenden Ländern sofort einen Friedensschluss ohne Gebietsforderungen zu vermitteln.

Auch die Förderung eines weiteren Demokratisierungsprozesses auf globaler Ebene ist den Frauenrechtlerinnen wichtig. So schlägt der Kongress darüber hinaus die Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und die Schaffung parlamentarischer Demokratien, die Einrichtung internationaler Streitschlichtungsinstanzen und eine demokratische Kontrolle der Außenpolitik sowie Abrüstung, Freihandel und eine pazifistische Erziehung der Jugend vor.

Der Kongress verbindet damit feministische Forderungen sowie eine Demokratisierung der Welt mit pazifistischen Anliegen. Dies beruht zentral auf der Idee, dass eine dauerhaft friedliche Weltordnung in Zukunft nur erreicht werden könne, wenn Frauen die gleichwertige politische Teilhabe und gesellschaftliche Partizipation wie Männern gewährt würden. Dies ist wohl bis heute ein Gedanke, der einigen Herren ein Schaudern über den Rücken jagt.

Späte Genugtuung

Im Rahmen der Konferenz gründen die Frauenrechtlerinnen nicht zuletzt die spätere Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit. Sie gibt es bis heute, auch in beratender Rolle bei der UNO. Außerdem wird die Vorsitzende Addams schließlich 1931 den Friedensnobelpreis erhalten.

Die US-amerikanischen Teilnehmerinnen des Internationalen Frauenkongress auf der MS Noordam (1915). Quelle: Library of Congress, gemeinfrei

Allerdings hat die Konferenz keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Entscheidungsträger (!) in der internationalen Politik. Der Kongress entsendet zwar im Anschluss zwei Delegationen, die sich mit einigen europäischen Regierungen treffen und ihre Forderungen vortragen. Das große Sterben wird aber trotz dieser Bemühungen noch bis November 1918 andauern.

Doch wenige Jahre später schaffen es einige Forderungen des Frauenkongresses ins 14-Punkte-Programm des US-Präsidenten Woodrow Wilson. Dieses stellt er zum Ende des Weltkrieges hin als Leitlinie für eine friedliche Nachkriegsordnung auf. So finden sich auch hier etwa die Gründung eines Völkerbundes und eines internationalen Gerichtshofes.

Und nicht zuletzt kann man den Teilnehmerinnen des Frauenkongresses durchaus hellseherische Fähigkeiten attestieren. Als der Weltkrieg zu Ende geht, brechen zahlreiche kriegführende Nationen auseinander, vor allem die autokratisch-monarchischen unter ihnen. Aus ihrer Asche erheben sich neue Staaten, viele von ihnen als Demokratien. Mit ihren Forderungen waren die Frauenrechtlerinnen von 1915, wie so oft, ihrer Zeit voraus.

Artikel Drucken
Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert