Demokratiegeschichten

Alles steht still: Die Ruhrbesetzung 1923

Die komplette Originalbeschriftung des Fotos lautet: „Mit gefälltem Bajonett gegen einen Greis. Diese Aufnahme wurde im Jahre 1923 also „mitten im Frieden“ in einer Stadt an der Ruhr gemacht. Mit brutalster Gewalt gingen damals die Franzosen gegen die wehr- und waffenlose Zivilbevölkerung vor. Sie schonten niemanden, der ihnen nicht zu Willen war.“

Es ist nicht bekannt, wer der Fotograf oder die Fotografin war. Und ob er oder sie auch das Foto beschriftet hat.

Was aber im Foto und in der Beschreibung deutlich wird, ist die Stimmung, mit der vor allem die deutsche Bevölkerung der Ruhrbesetzung gegenüber stand.

Hintergrund: Reparationen, Sieger und Besiegte

Frankreich war zwar als Sieger aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen. Aber Teile des Landes waren vier Jahre lang von Deutschland besetzt gewesen. Ein Großteil der Industrie lag brach, ganze Landesteile lagen weiterhin komplett verwüstet. Währenddessen qualmten im Ruhrgebiet die Schornsteine wieder. Die Angst, dass Deutschland wieder einen Krieg beginnen würde, saß tief.

In Deutschland wiederum saß der Unwillen über die Bestimmungen des Versailler Vertrags tief. Die Reparationsleistungen waren so hoch, dass auch die eigene Wirtschaft nicht so schnell ins Laufen kam, wie erhofft. Der „Diktatfrieden“ von Versailles – insbesondere in völkischen und rechtsnationalen so bezeichnet – wurde als Demütigung empfunden.

Als Ende 1922 die alliierte Reparationskommission feststellte, dass nicht alle Reparationszahlungen erfolgt waren, ging es schnell. Zwischen dem 11. und 16. Januar besetzten französische und belgische Truppen mit 60.000, später 100.00 Mann das gesamte Ruhrgebiet bis Dortmund. Damit sollte eine volle Zahlung der Reparationen gewährleistet werden.

Einzug französischer Truppen in Essen; Foto: gemeinfrei/Wikimedia.

Das Ruhrgebiet steht still

Die Reaktion auf die Besetzung folgte bald. Kanzler Wilhelm Cuno rief die Bevölkerung am 13. Januar zum „passiven Widerstand“ auf. Die Reparationszahlungen an Frankreich und Belgien wurden eingestellt. In Industrie, Verwaltung und im Verkehr kam es zu Generalstreiks.

Als Beispiel, wie das aussah: Die Arbeiter:innen und Beamt:innen der Deutschen Reichsbahn verließen ihre Dienstposten. Oft nahmen sie zudem dienstliche Unterlagen und Informationen mit. An vielen Bahnhöfen und Stellwerken wurden die Beschriftungen demontiert, Lokomotiven und Wagen in unbesetztes Gebiet abgefahren.

„Mit gefälltem Bajonett gegen einen Greis.“

Originaltitel: „Mit gefälltem Bajonett gegen einen Greis.“ Bundesarchiv, Bild 183-R09876 / CC-BY-SA 3.0

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ heißt ein populäres Sprichwort. Tatsächlich scheint im Bild viel von dem zu stecken, was oben beschrieben wurde. Ein aggressiv wirkender französischer Soldat, ein unbeteiligt scheinender älterer deutscher Mann. Besatzung und passiver Widerstand scheinen hier geradezu perfekt verkörpert.

Allerdings ist es gerade hier schade, dass Bilder nicht doch reden können. Beziehungsweise der oder die Fotograf:in und seine Intention nicht bekannt sind. Wie es zu der Situation im Bild kam und wie sie gelöst wurde, das würde ich gerne wissen.

Klar ist, dass sich hier zwei Seiten gegenüber stehen, deren Beziehung der Jahre zuvor von Abneigung, sogar Hass geprägt war. Der Krieg steckte in beiden Seiten noch in den Köpfen, an Vergessen oder Entgegenkommen war in der Situation nicht zu denken.

Der passive Widerstand von deutscher Seite hielt mehrere Monate an, die französische Seite reagierte mit hunderttausenden von Strafen. Darunter Gefängnisstrafen, aber auch Ausweisungen, u.a. von den schon angesprochenen Eisenbahnern.

Das Ende der Besetzung

Originaltitel: „Die endgültige Räumung Dortmunds! Vorbeimarsch der abfahrenden Truppen vor dem Hauptbahnhof in Dortmund.“ Foto:  Bundesarchiv, Bild 102-00772 / CC-BY-SA 3.0

Der passive Widerstand ging bis zum 26. September 1923. Dann musste der neue Reichskanzler Gustav Stresemann das Ende verkünden. Der Schaden für die Wirtschaft, der von dem Arbeitsausfall ausging, war zu groß. Für etwa zwei Millionen Arbeiter:innen hatte der Staat die Löhne übernommen, dies kostete ihn täglich rund 40 Millionen Mark. Der Druck von mehr Geld führte dazu, dass sich die Inflation weiter verstärkte. Dazu kamen noch Produktions – und Steuerausfälle. Der Gesamtschaden der Ruhrbesetzung wurde mit etwa vier bis fünf Milliarden Mark beziffert.

Nach dem Ende des Widerstands folgte eine Währungsreform, 1924 trat im Einvernehmen mit den Alliierten der Dawes-Plan in Kraft. Dieser regelte die Reparationszahlungen neu. Außerdem regelte er das Ende der Ruhrbesetzung; die französischen und belgischen Truppen zogen im Juli/August 1925 endgültig ab.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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