Demokratiegeschichten

Anton Erkelenz

Dr. Katharina Kellmann ist Historikerin und promovierte mit einer Arbeit über Anton Erkelenz. Sie hat in diversen Handbüchern und Fachzeitschriften zu Themen der Liberalismusgeschichte und Verfassungsgeschichte veröffentlicht. Mehr Beiträge von ihr findet ihr auf ihrer Homepage.

Anton Erkelenz (1878 bis 1945) gehört nicht zu den ‘Helden’ der deutschen Demokratiegeschichte. Gewerkschafter, Reichstagsabgeordneter, Publizist: Erkelenz war ein Mann der ‘zweiten Reihe’.

Er warb für ein Bündnis zwischen Liberalismus und der Arbeiterbewegung. Ab 1897 engagierte er sich in den liberalen Gewerkvereinen, der ältesten deutschen Richtungsgewerkschaft. Nach wenigen Jahren wandte er sich der Parteipolitik zu, weil er glaubte, dort mehr für die Interessen der Arbeiterschaft tun zu können, zuerst in der „Freisinnigen Vereinigung“, ab 1910 in der „Fortschrittlichen Volkspartei“.

Im Herbst 1918 gehörte er zu den Mitbegründern der linksliberalen „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP). 1919 wurde er in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Von 1920 bis 1930 vertrat er einen Düsseldorfer Wahlbezirk im Reichstag. Von 1921 bis 1929 hatte er das Amt des Vorsitzenden des Parteivorstandes der DDP inne und gehörte damit zu den wichtigsten Politikern seiner Partei. Erkelenz konnte nicht verhindern, dass der Einfluss des sozialliberalen Flügels immer weiter schwand.

Als die DDP am 27. Juli 1930 mit dem Jungdeutschen Orden die „Deutsche Staatspartei“ gründete, verließ Erkelenz zwei Tage später die Linksliberalen und schloss sich der SPD an. Er wollte als Liberaler in der Sozialdemokratie für seine politischen Ziele kämpfen. Als Publizist kritisierte er die Unterstützung der Sozialdemokratie für Reichskanzler Brüning und forderte eine antizyklische Konjunkturpolitik. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten beendete sein politisches und publizistisches Wirken.

Der demokratische Volksstaat

1897 trat Erkelenz in Düsseldorf der “Volkswirtschaftsschule” bei, einer Fortbildungseinrichtung der Düsseldorfer Gewerkvereine. Einmal in der Woche trafen sich junge liberale Gewerkschafter, um unter der Leitung des Journalisten Gottfried Stoffers politische Tagesfragen zu diskutieren. Stoffers spielte in der Demokratischen Partei, einer linksliberal-radikaldemokratischen Splitterpartei, eine wichtige Rolle. Die Demokraten sahen sich als geistige Erben der 48er Revolution und traten für eine Republik auf der Grundlage der Volkssouveränität ein.

Die Idee eines demokratischen Volksstaates war ein zentrales Motiv für das politische Engagement von Erkelenz. In seinem “Arbeiterkatechismus” legte er 1908 seinen Standpunkt dar:

“Die Arbeiterschaft kämpft für die Erringung und Aufbesserung ihrer Stellung in der Gesellschaft. Sie kämpft aber nicht gegen (im Original gesperrt, d. Verfasserin) die anderen Gesellschaftsklassen, sondern lässt jeder derselben ihre berechtigte Stellung in der Gesellschaft. Die Arbeiterschaft will die anderen Klassen nicht beherrschen, von diesen aber auch nicht, wie es noch vielfach der Fall ist, beherrscht werden, sondern mitherrschen”.

Demokratie bedeutete für Erkelenz gleichberechtigte Teilhabe aller Bevölkerungsschichten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie hielt Anton Erkelenz das Kaiserreich für reformfähig. Emanzipation war für ihn keine Klassenfrage, sondern Sache des Einzelnen, der sich mit anderen zu Wohnungsbaugenossenschaften oder Gewerkschaften zusammen schließen und seine Interessen vertreten sollte.

Anton Erkelenz setzte wie viele andere Linksliberale auf eine Parlamentarisierung der Monarchie. Zwar bevorzugte er die Republik als Staatsform, aber er konnte sich auch einen demokratischen Volksstaat mit einem Kaiser als nicht regierendes Staatsoberhaupt vorstellen.


Anton Erkelenz spricht am 17. April 1925 auf einer Kundgebung (möglicherweise des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold); Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-01296 / CC-BY-SA 3.0.

Demokratie und Nation

In der Weimarer Republik setzte sich Erkelenz unermüdlich dafür ein, die Vorbehalte vieler Deutscher gegen die Demokratie als Regierungsform abzubauen. Auch in der eigenen Partei, der DDP, gab es führende Politiker, die sich mit der politischen Entwicklung schwertaten. Reichswehrminister Otto Gessler äußerte am 22. November 1922 auf einer Vorstandssitzung der DDP: “Ihm sei die Hauptsache nicht die Republik, sondern das Vaterland”.

Gesslers Vorbehalte waren im Bürgertum weit verbreitet. Dass nicht alles Gold war, was glänzte, wurde den Deutschen erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie bewusst. Das Kaiserreich gehörte zu den mächtigsten Staaten Europas. Sein Wort hatte Gewicht, die Industrie war dabei, die Weltmärkte zu erobern und steigender Wohlstand erfasste allmählich alle Schichten des Volkes. In den Anfangsjahren der Republik dagegen jagte eine schwere Krise die nächste. Der harte Friedensvertrag und die zum Teil demütigende Behandlung durch die Siegermächte wurden der Weimarer Demokratie zur Last gelegt.

Anton Erkelenz, ca. 1943.

In der Mitgliederzeitschrift “Der Demokrat” versuchte Erkelenz zu Beginn des Jahres 1922 diese Vorbehalte abzubauen:

“Die Demokratie ist die einzige Staatsform, die auch den wahren nationalen Gedanken zur innerlich erlebten Selbstverständlichkeit des Volkes machen kann. In England, den Vereinigten Staaten, auch in Frankreich haben hundert Jahre demokratischer Praxis und Erziehung diese Aufgabe gelöst. Es ist kein Grund anzunehmen, dass die Demokratie diese Aufgabe nicht lösen könnte”.

Erkelenz wandte sich gegen die auch im liberalen Bürgertum verbreitete Auffassung, dass die demokratische Regierungsform etwas ‘undeutsches’ wäre.

Demokratie als tägliche Aufgabe

Im Frühjahr 1919 teilte Erkelenz die Empörung vieler Deutscher über die harten Bedingungen der Sieger. Dass Deutschland im März 1918 der Sowjetunion ebenfalls einen Diktatfrieden aufgezwungen hatte, kam ihm nicht in den Sinn. Seit 1921 bekannte sich Erkelenz zu einer Außenpolitik, die schrittweise versuchte, die Bestimmungen des Versailler Vertrages zu revidieren. An die wilhelminische ‘Weltpolitik’ wollte er nicht anknüpfen. Ihm ging es darum, dass die Weimarer Republik gleichberechtigter Teil eines demokratischen Europas sein sollte.

Anton Erkelenz war sich darüber im Klaren, dass die neue Demokratie Zeit brauchte und dass die Deutschen lernen mussten, sich als Demokraten zu fühlen und dementsprechend zu handeln.

“Die formelle Festlegung der neuen Staatsverfassung ist nur der erste Schritt. Ihr muss die innere Verarbeitung des demokratischen Staatsgedankens durch jeden einzelnen Staatsbürger erfolgen”,

sagte er 1926 vor dem Reichstag.

Demokratie betrachtete er als tägliche Aufgabe. In der Parteipresse schrieb er Aufsätze über die Mitgliederwerbung, während andere sich über Themen wie “Gundolf und Goethe” äußerten. Immer wieder rief er seinen Parteifreunden die Notwendigkeiten des politischen Alltags in Erinnerung: “Ernsthafte Kleinarbeit, d.h. Sammlung von Adressen, Hausbesuche, persönliche Werbungen” wären von der Parteiorganisation vernachlässigt worden.

Demokratie und Sozialstaat

Als Gewerkschafter setzte er sich für Mitbestimmung im Betrieb ein und begrüßte das Betriebsrätegesetz, das die Weimarer Nationalversammlung zu Beginn des Jahres 1920 beschloss. Die Demokraten sollten als Partei die Gegensätze zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum überwinden. Im Bekenntnis zum demokratischen Volksstaat sollten sozialpolitische Gegensätze ihre Bedeutung verlieren. Statt der alten Klassengegensätze aus der Zeit des Kaiserreiches wünschte sich Anton Erkelenz eine Staats- und Gesellschaftsordnung, in der die Tarifparteien ihre Konflikte innerhalb eines vom Staat gesteckten Rahmens regeln konnten.

In der Sozialpolitik trat er für eine Entstaatlichung der sozialen Sicherungssysteme ein. Die bismarckschen Sozialgesetze betrachtete er als Teil des alten Obrigkeitsstaates. Der bürokratische Fürsorgestaat passte für Erkelenz nicht in die Weimarer Republik: Im demokratischen Staat müssten Arbeitszeitregelungen oder Fragen des Arbeitsschutzes nicht vom Staat, sondern von den Selbstverwaltungsorganisationen der Unternehmer und der Arbeitnehmer geregelt werden. Sein Plan litt jedoch an einem entscheidenden Nachteil: Er setzte eine politische Konfliktkultur und einen Konsens über wirtschaftliche und soziale Fragen voraus, der in dieser Form in Weimar nie bestand.

Demokratie als tägliche Aufgabe

Was bleibt von Anton Erkelenz? Erkelenz war kein Revolutionär, der auf Barrikaden für die Demokratie focht. Er war Funktionär, ein Mann des bürokratischen Apparats. In der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft ist sein Name weitgehend unbekannt.

Warum lohnt es trotzdem, an ihn zu erinnern? Anton Erkelenz gehörte zu jenen, die während ihres politischen Lebens unentwegt für die Demokratie als Regierungsform kämpften. Er wusste, dass es ‘keinen Stein der Weisen’ gibt und demokratische Entscheidungsprozesse das Ergebnis von Kompromissen sind. Doch der Parteipolitiker Erkelenz war ein Funktionär der Demokratie im positiven Sinne. Bei aller Kompromissbereitschaft hatte er ein klares Ziel: den demokratischen Volksstaat. Dass es in Deutschland zur Gründung einer sozialstaatlich verfassten Demokratie kommen sollte, durfte er nicht mehr erleben. Anton Erkelenz starb am 25. April 1945 durch die Hand russischer Soldaten, als er sich schützend vor seine Haushälterin stellte.

Artikel Drucken
Über uns 

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert