Demokratiegeschichten

Buchempfehlung: Die Geschichte der Demokratie von Anfang bis Ende?

Historische Gesamtüberblicke („Gesamtdarstellungen“ wollen es ja von vorneherein nie sein) haben, je nach Thema, oft einen schweren Stand. Den einen Kritiker:innen sind sie anhand zu vieler Teilaspekte in ihrer Gesamtheit dann doch zu oberflächlich. Den anderen blenden sie zu viele entscheidende Perspektiven aus, weil sie sich zu sehr auf einige wenige konzentrieren. Das mag eventuell auch ein Grund dafür sein, dass der letzte deutschsprachige Gesamtüberblick der Geschichte der Demokratie in einem vergleichbaren Umfang über zehn Jahre alt ist: Paul Noltes Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart (2012).

Doch seit Herbst letzten Jahres hat Paul Noltes Werk Gesellschaft bekommen. Gerade für diejenigen, die sich möglicherweise bisher davor gescheut haben, sich dem Thema Demokratiegeschichte in seiner Gänze zu nähern, sondern sich lieber mit einzelnen Aspekten davon auseinandergesetzt haben, könnte der utb-Band Geschichte der Demokratie. Von der Antike bis heute von Georg Eckert und Thorsten Beigel einen sehr ansprechenden Einstieg ins Thema darstellen.

Von der attischen Polis bis „Friday for Future“

In ihrem Buch beschreiben die beiden Historiker auf knapp 400 Seiten über 2.500 Jahre Demokratiegeschichte. Sie beleuchten dabei zahlreiche Entwicklungsstufen und Erscheinungsformen. Im Zentrum des Buches steht, wenig überraschend, aber deshalb nicht automatisch kritikwürdig, die chronologisch aufgebaute Geschichte demokratischer Systeme von den griechischen Poleis bis in die jüngste Vergangenheit hinein. Die Historisierung von AfD, Fridays for Future und Ukrainekrieg ist auch hier schon in vollem Gange.

Die Akropolis in Athen. Gemälde von Leo von Klenze (1846). Quelle: Neue Pinakothek, München, gemeinfrei

Diesen chronologischen Abriss rahmen jeweils zwei überzeitliche Kapitel am Anfang und am Ende des Buches ein. Hier lernen die Lesenden zum einen entscheidende Theoretiker:innen, als auch wirkmächtige Kritiker:innen der Demokratie kennen. Zum anderen liefert etwa der Themenkomplex Emanzipation Einblicke in Kontinuitäten über die beschriebenen Jahrhunderte hinweg, ohne dabei Unterschiede unter den Teppich zu kehren.

Das Große und Ganze im Blick

Die beiden Autoren stützen sich grundsätzlich auf ein recht breites Verständnis von Demokratiegeschichte. Dabei sparen sie sich eine dezidiert ausformulierte Definition von Demokratie, an der sie sich durch das Buch hindurch abarbeiten, sondern untersuchen das Phänomen immer in ihrem jeweiligen historischen Kontext.

So taucht im Inhaltsverzeichnis durchaus das eine oder andere Thema auf, was üblicherweise nicht so explizit beleuchtet wird, etwa das Dorf im späten und ausgehenden Mittelalter „als Ort der Teilhabe“ oder das spanische Weltreich als „Geburtshelfer der neuzeitlichen Demokratie“. Dies sorgt durchaus für den einen oder anderen Überraschungsmoment, auch wenn bei genauerem Hinsehen die Autoren dann doch auf Grenzen und Ambivalenzen hinweisen. Sie führen die Leser:innen vielleicht im ersten Moment ein wenig hinters Licht, glorifizieren liegt ihnen aber definitiv fern.

Gründung eines mittelalterlichen Dorfes. Illustration aus dem Heidelberger Sachsenspiegel (Anfang des 14. Jahrhunderts). Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, gemeinfrei

Im Großen und Ganzen beschreibt das Buch vor allem übergeordnete Prozesse und Entwicklungen. Einzelne historische Ereignisse (nicht selten aus der deutschen Geschichte) treten zwar exemplarisch als Ausdruck dieser Fortentwicklungen in Erscheinung, stehen aber definitiv nicht im Fokus der Erzählung. So taucht etwa die Revolution von 1848/49, üblicherweise ein zentraler Bestandteil jeder (deutschen) Demokratiegeschichte, hier nicht einmal als eigenständiges Unterkapitel auf.

Gleicher Aufbau, wechselnde Inhalte

Jedes der 17 inhaltlichen Kapitel leiten Georg Eckert und Thorsten Beigel mit einer „Schlüsselquelle“ ein, welche die Lesenden schlaglichtartig direkt ins jeweilige Thema hineinwirft. Die einzelnen Kapitel sind in übersichtliche Abschnitte unterteilt, die problemlos auch unabhängig voneinander funktionieren. So ist das Buch auch eine gute Anlaufstelle, um einzelne Punkte gezielt nachschlagen zu können (auch wenn die Autoren betonen, dass es sich dabei nicht um ein Handbuch handelt).

Den Abschluss jedes Kapitels macht eine pointierte Zusammenfassung des bereits Gelesenen, Kontrollfragen zur Überprüfung des Verständnisses sowie eine kurze ausformulierte Literaturdiskussion. Letztere setzt themenbezogen relevante Werke in Beziehung zueinander, was für den einen oder anderen „Dies könnte Ihnen auch gefallen“-Moment sorgt. Außerdem enthalten die Literaturhinweise Einordnungen verschiedener historischer Quellen(gattungen), die für den jeweiligen demokratiegeschichtlichen Aspekt interessant sein können, gerade wohl für Studierende ein hilfreicher Service.

Das Brandenburger Tor in Berlin in den Nationalfarben der Ukraine (Februar 2022). Quelle: Leonhard Lenz, gemeinfrei

Schöne Idee, unglückliche Umsetzung

Für diejenigen Leser:innen, denen dies aber immer noch nicht genug ist, finden sich über das Buch hinweg verteilt über 50 QR-Codes,  welche, ganz bequem mit dem Smartphone abrufbar, zu über den Text hinausgehenden Quellen führen. Diese an sich erfreuliche Idee kommt allerdings mit Abstrichen daher.

Zum einen lässt sich anhand des Fließtexts oft nur grob erahnen, um was für eine Quelle es sich konkret handelt. Dies macht es bisweilen schwer zu entscheiden, ob man die Quelle nun interessant genug findet, um tatsächlich das Smartphone zu zücken, oder ob man sie überspringen möchte.

Zum anderen verbergen sich hinter den QR-Codes nahezu ausschließlich Textquellen. An sich ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn ein Buch allerdings den Versuch unternimmt, seine natürlichen haptischen Grenzen zu sprengen, hätten diese zusätzlichen Quellen sehr gerne häufiger visueller Natur sein dürfen (Karten, Bilder, Videos, animierte Grafiken etc.). Dies erscheint umso mehr als vertane Chance, da die Autoren selbst an verschiedenen Stellen im Buch anmerken, wie vielfältig die historischen Quellen zur Demokratiegeschichte sind.

Viel Inhalt, aber auch gut in Häppchen zu genießen

Trotz dieses kleinen Mankos (welches, fairerweise angemerkt, recht einfach ignoriert werden kann), ist Geschichte der Demokratie. Von der Antike bis in unsere Zeit von Georg Eckert und Thorsten Beigel ein dichter, aber übersichtlich strukturierter Einstieg ins Thema, der aber auch erfahrenen Leser:innen die eine oder andere neue Perspektive bietet, die zum Nachdenken über die Geschichte der Demokratie anregt.

Das Buch schafft es deutlich zu machen, dass die moderne Demokratie nicht im luftleeren Raum entstanden ist, sondern sich aus verschiedenen Traditionslinien und Ideen heraus entwickelt hat – von denen manche aber auch im Laufe der Zeit einfach im Sande verlaufen sind. Und auch wenn die beschriebene Chronologie unweigerlich auf unsere Gegenwart zuläuft, ist letztlich eines nicht zu übersehen: Dies ist sicherlich nicht das Ende der Geschichte der Demokratie.

Geschichte der Demokratie. Von der Antike bis in unsere Zeit

Autoren: Georg Eckert, Thorsten Beigel

Umfang: 425 S., 6 Abb., 2 Tab., 24 farb. Abb.

Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht

ISBN: 9783825259327

eISBN: 9783838559322

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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