Demokratiegeschichten

Die polnische Verfassung von 1791

Am 3. Mai 1791 unterzeichnete der polnische König Stanislaw II. August Poniatowski eine neue, moderne Verfassung für den polnisch-litauischen Doppelstaat. Sie war Rousseaus Idee der Volkssouveränität und Montesquieus Lehre von der Gewaltenteilung verpflichtet, sie schränkte die Privilegien des Adels ein, gestand dem Bürgertum politische Rechte zu und gewährte den leibeigenen Bauern größere Rechtssicherheit.

Polen war damit das zweite Land der Welt nach den USA, das sich eine moderne, demokratische Verfassung gab. In Europa kam Polen damit noch Frankreich zuvor, das erst am 3. September 1791 demokratisch verfasst wurde. Wie und warum kam es in Polen dazu?

7. Oktober 1788

König Stanislaw II. August Pontiakowski, Gemälde von Marcello Bacciarelli, entstanden 1793. Quelle: Nationalmuseum Warschau, gemeinfrei

Wer das ergründen will, muss zum 7. Oktober 1788 zurück. Damals trat in Warschau der Sejm, der polnische Landtag, also quasi das polnische Parlament, wieder zusammen. Dies war eigentlich nichts Ungewöhnliches, seit dem Ende des 15. Jahrhunderts wurden solche Landtage abgehalten. Seit 1573 trat der Sejm alle zwei Jahre zusammen. Er bestand aus drei „Ständen“: dem König, dem Senat und der Abgeordnetenkammer, die den Adel repräsentierte. Die Beratungen des Sejm dauerten in der Regel sechs Wochen.

„liberum veto“

Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die Landtage jedoch meistens vorzeitig abgebrochen, was sich daraus erklärt, dass der Beschluss eines Gesetzes die Einstimmigkeit der Abgeordnetenkammer erforderte. Es hatte sich im Laufe der Zeit das „liberum veto“ eingebürgert, d.h. ein einziger Abgeordneter, der gegen ein Gesetz stimmte, konnte die Arbeit des Landtags blockieren.

Der „große Sejm“

Der Sejm von 1788 wollte aber alles ganz anders machen: Eine große Reform musste her und die war nur durch eine sogenannte Konföderation, ein zeitweises Bündnis des Adels zu erreichen. So einigte man sich gleich zu Beginn des Landtages darauf , auf das „liberum veto“ zu verzichten und stattdessen Mehrheitsentscheidungen zuzulassen. Außerdem beschloss man, nicht nach sechs Wochen auseinanderzugehen, sondern erst, wenn die Reform gelungen war. Dass dies erst am 3. Mai 1791 der Fall sein würde, war zu Beginn des Landtags noch nicht klar. Im Nachhinein bürgerte sich für den permanenten Landtag ab 1788 die Bezeichnung „der große Sejm“ ein.

Errungenschaften

Die Verfassung, die am 3. Mai 1791 beschlossen wurde, war nicht in allem fortschrittlich, aber sie versuchte die polnische Gesellschaftsordnung der damaligen Zeit mit den politischen Ideen der französischen Aufklärung und Erfahrungen aus der konstitutionellen Monarchie in England zusammenzuführen. Die Position des Königs wurde gestärkt, das „liberum veto“ abgeschafft, der Sejm blieb die höchste Gewalt der Republik und wurde in seiner Funktion reformiert und verbessert. Die Frage bleibt, warum drängte der „große Sejm“ so sehr auf diese Verfassungsreform und gab nicht zwischendurch auf?

Das Historiengemälde „Verfassung vom 3. Mai 1791“ von Jan Matejko, entstanden 1891. Quelle: Nationalmuseum Warschau, gemeinfrei

Ein letzter Versuch

Die in Berlin lebende polnische Schriftstellerin und Journalistin Ewa Maria Slaska bezeichnet die Verfassung vom 3. Mai als einen letzten Versuch polnischer Reformer*innen, die Unabhängigkeit des polnisch-litauischen Doppelstaates zu retten. Seit 1569 bestand er aus einer Union des Königreichs Polen mit dem Großfürstentum Litauen. Und er war im 18. Jahrhundert akut bedroht, vor allem von den Nachbarn Preußen, Österreich und Russland.

Die erste Teilung

Schon 1772 einigten sich die drei Nachbarstaaten im Vertrag von St. Petersburg auf eine Teilung des polnisch-litauischen Staates, der dadurch mehr als ein Drittel seiner Bevölkerung und mehr als ein Viertel seines Staatsgebietes  verlor. Von nun an versuchte Polen-Litauen eine weitere Teilung oder die völlige Zerschlagung des Staates zu verhindern. Als ein wesentliches Mittel zu diesem Zweck diente die Reform des Staatswesens durch die Verfassung vom 3. Mai 1791, der ersten polnischen Verfassung überhaupt.

Keine Chance

Aber die Nachbarn ließen dem reformierten polnischen Staat keine Chance. Vor allem der russischen Zarin waren die Ideen der französischen Revolution, die in der polnischen Verfassung von 1791 teilweise eingeflossen sind, ein Dorn im Auge. Schon 1792 überfiel Russland den polnisch-litauischen Staat, ein Jahr später kam es zu einer weiteren Teilung Polens und im Jahr 1795, nach der dritten Teilung, verschwand der polnische Staat komplett von der Landkarte – für 123 lange Jahre.

Die drei polnischen Teilungen von 1772, 1793 und 1795. Quelle: Mullerkingdom, CC BY-SA 3.0 DEED

Bis heute ein Symbol

Die Verfassung vom 3. Mai 1791 hatte nur kurze Zeit bestand, aber sie wurde schnell zum Erinnerungsort an einen eigenen unabhängigen Staat. Polnische Künstler*innen verewigten sie in Musik, Malerei und Literatur, so z.B. Adam Mickiewicz 1834 im polnischen Nationalepos „Pan Tadeusz“.

Nationalfeiertag

Als nach dem Ersten Weltkrieg wieder ein polnischer Nationalstaat entstand, wurde der 3. Mai schnell als „Tag der Verfassung von 1791“ zum Nationalfeiertag. Während der Besetzung durch NS-Deutschland und die Sowjetunion wurde er als Feiertag verboten. Auch die sozialistische Volksrepublik Polen nach 1945 stellte sich gegen den Feiertag und beging stattdessen den ersten Mai als Tag der Arbeit. 1990 führte Polen den 3. Mai als Nationalfeiertag wieder ein. In Litauen ist der 3. Mai seit 2007 Feiertag.


Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Reihe „In guter Verfassung“. Mit ihr möchten wir verschiedene gegenwärtige und historische Verfassungen vorstellen und dabei zeigen, wie sie Staaten und Menschen beeinflusst haben – und von diesen beeinflusst wurden

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Über uns 
Dennis R. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

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