Demokratiegeschichten

Eine neue Führung für ein neues Jahrtausend – Der Parteivorsitz der Angela Merkel

Wie der Beginn einer neuen Ära in der bundesdeutschen Geschichte fühlt es sich nicht unbedingt an, als die Generalsekretärin der Christlich Demokratischen Union, Angela Merkel, am 10. April 2000 in der doch eher tristen Grugahalle in Essen ans Rednerpult tritt. Die CDU hält ihren 13. Bundesparteitag ab, den ersten seit knapp 50 Jahren, an dem Helmut Kohl, ewiger Kanzler der Christdemokratie, nicht teilnimmt.

Das neue Jahrtausend hat zwar schon begonnen, doch die CDU kämpft noch mit den Hinterlassenschaften der 1990er Jahre. Vor allem die umstrittene Aufarbeitung der Spendenaffäre, die Kohl seiner Partei hinterlassen hat, schwebt immer noch wie eine dunkle Wolke über der CDU. Viele in der Partei sind der Meinung, dass es Zeit für einen Neuanfang ist – auch Merkel sieht das so. Vor allem aber hat sie eine klare Meinung dazu, mit welchem Parteivorsitzenden dieser Neuanfang gelingen soll: mit ihr selbst.

Die Union auf Führungssuche

Auch um endlich einen Schlussstrich unter den Spendenskandal zu ziehen, betont Merkel in ihrer Rede, dass die CDU, trotz aller Versuche von außen, die Partei zu spalten, erfolgreich mit dieser Affäre umgegangen sei. Außerdem greift sie die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder heftig an und weist mögliche parteiinterne Ängste, Merkel könne die Union auf einen grundsätzlich anderen, einen linkeren Kurs führen, entschieden zurück: „Unser Herz schlägt nicht links. Unser Herz schlägt für Deutschland und Europa.“ Kämpferisch verkündet sie: „Die Stunde unserer Gegner ist vorbei.“ Die 1001 Delegierten sind begeistert und antworten mit tosendem Applaus und Standing Ovations – sechs Minuten lang.

Wolfgang Schäuble und Angela Merkel im Deutschen Bundestag 2014. Quelle: Tobias Koch, CC BY-SA 3.0 DE

Vor wenigen Wochen, Mitte Februar, tritt Wolfgang Schäuble als Partei- und Fraktionsvorsitzender zurück. Die CDU ist zunächst führungslos. Der von Schäuble geplante, fließende Übergang in eine Post-Kohl-Ära ist damit gescheitert. In der Folge finden neun sogenannte „Regionalkonferenzen“ statt – ursprünglich sind diese eingesetzt worden, um die Spendenaffäre mit der Parteibasis vor Ort aufzuarbeiten. Darüber hinaus bildet sich hier nun starke Unterstützung für die Generalsekretärin Merkel als Schäubles Nachfolgerin heraus. Denn sie, die Quereinsteigerin, gilt gerade innerhalb der lokalen Parteistrukturen von der Spendenaffäre als unbelastet.

Ein politisches Kind der 90er

Doch trotz dieses Eindrucks, den viele Parteikolleg:innen von ihr haben, ist Merkel nicht gerade neu in der bundesdeutschen Politik. Am 2. Dezember 1990 erhält sie erstmals ein Mandat für den Bundestag. Von 1991 bis 1994 ist Merkel unter Helmut Kohl Bundesministerin für Frauen und Jugend und anschließend führt sie bis 1998 das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Schließlich übernimmt „Kohls Mädchen“, wie nicht wenige scherzen, das Amt der Generalsekretärin der CDU. So emanzipiert sich Merkel bald von dem ihr auferlegten Label – und noch immer ist sie nicht am Ende ihrer Karriereleiter angekommen.

Unter den Parteikolleg:innen gibt es sowohl Befürworter wie Christian Wulff, aber auch Kritiker, etwa Friedrich Merz und Edmund Stoiber, einer Parteivorsitzenden Merkel. Innerhalb der Basis gilt Merkel vielen als Hoffnungsträgerin und einzige Lösung hin zu einer neuen, dynamischen Zukunft. Für sie verkörpert die Ostdeutsche die Abkehr von den zum Ende hin drögen Kohl-Jahren und den Ausweg aus der beinahe schon endzeitlichen Stimmung nach der Parteispendenaffäre. Nicht zuletzt deshalb nominiert der Bundesvorstand der CDU Merkel im März 2000 einstimmig als Kandidatin für den Parteivorsitz.

Edmund Stoiber bei einem Wahlkampfauftritt in Kloster Reutberg 1999. Quelle: Harald Bischoff, CC BY 3.0

Missglückter Neustart?

Auf dem Parteitag im April wählen sie die Delegierten in Essen dann tatsächlich mit 897 von 935 Stimmen zur neuen CDU-Vorsitzenden. Als Generalsekretär an ihrer Seite kommt, auf ihren Vorschlag hin, Ruprecht Polenz ins Amt, Bundestagsfraktionsvorsitzender wird Friedrich Merz. Mit letzterem verbindet sie zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht die innige Feindschaft, die Jahre später viel diskutiert werden wird. Doch eine Freundschaft ist es wohl auch nicht gerade, die Merkel und Merz aneinander bindet.

Eine erste Niederlage erleidet die neue CDU-Führungsspitze im Juli, als es die rot-grüne Regierung trotz Minderheit im Bundesrat schafft, eine geplante Steuerreform umzusetzen. Auch in der Folge läuft es nicht optimal und der herbeigesehnte Neuanfang scheint noch auf sich warten zu lassen. Immer noch unter dem Eindruck der CDU-Spendenaffäre sind die nächsten Jahre für die CDU unter Merkel zunächst holprig und mit Blick auf mehrere Landtagswahlen mit wenig Erfolgen gesegnet.

Der Verzicht führt zum Erfolg

Obwohl Merkel bei der Bundestagswahl 2002 bereit für eine Kandidatur wäre, verzichtet sie zu Gunsten Edmund Stoibers auf den Wettlauf ums Kanzleramt. Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident hat schlicht mehr Rückhalt in der Union. Merkel hingegen verfügt zu diesem Zeitpunkt noch nicht über genügend Verbündete in den obersten Parteiebenen und durch die verlorenen Landtagswahlen ist ihre Stellung noch nicht gefestigt genug. Dass Merkel dies erkennt und als gegebenen Umstand akzeptiert, sichert ihr letztlich ihre Position. Eine Niederlage gegen Stoiber in einer parteiinternen Kampfabstimmung würde auch ihren Parteivorsitz in Frage stellen – und so möglicherweise ihre politische Karriere sehr viel früher beenden, als ihr lieb wäre.

Friedrich Merz auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2004. Quelle: Kai Mörk, CC BY 3.0 DE

Die Bundestagswahl 2002 verliert die Union mit ihrem Kandidaten Stoiber dann knapp. Nun sieht Merkel ihre Stunde gekommen und beansprucht zusätzlich zum Partei- auch den Fraktionsvorsitz im Bundestag. Friedrich Merz ist darüber natürlich wenig erfreut, doch auf der entscheidenden CDU-Präsidiumssitzung fällt die Entscheidung für Merkel. Sie wird Oppositionsführerin im deutschen Bundestag.

Die erste Kanzlerin

Auf dem nächsten Bundesparteitag der Christdemokraten im November desselben Jahres erhält Merkel 93,6 Prozent der Stimmen, die Delegierten bestätigen sie in ihrem Amt als Parteivorsitzende. Über die Jahre wird sich Merkel insgesamt acht Mal zu dieser Wahl stellen und jede gewinnen. Drei Jahre später, bei der Bundestagswahl 2005, gewinnt die CDU dann schließlich knapp gegen die SPD. Merkel übernimmt von Gerhard Schröder das Amt der Bundeskanzlerin, sie ist an der Spitze angekommen.

Wie wohl wenige andere Politikerkarrieren ist diejenige Merkels geprägt von Superlativen: erste weibliche Regierungschefin Deutschlands, richtungsweisende Anführerin der Europäischen Union, mächtigste Frau der Welt. Als Merkel im Dezember 2021 schließlich das Bundeskanzleramt verlässt, gibt es viele, die sich eine Bundesrepublik Deutschland ohne Angela Merkel an der Spitze nicht mehr vorstellen können – oder es schlicht nicht anders kennen.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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