Demokratiegeschichten

Johannes Vechta 10 von 01 kommen! – Rettungsdienst bei den Maltesern

Vor 60 Jahren wurde der Zivildienst in der BRD eingeführt, 2011 traten die letzten Zivis ihren Dienst an. In unserer Themenreihe „Stets zu Diensten“ veröffentlichen wir die Berichte von (ehemaligen) Zivildienstleistenden, Freiwilligen und Menschen, die einen Wehrersatzdienst geleistet haben.

Prof. Dr. Christoph Meyer ist Vorsitzender der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung in Dresden.

Statt Kriegsdienst längerer Zivildienst

Meine Entscheidung für den Zivildienst fiel im Frühjahr 1984 bei der Musterung für die Bundeswehr in einer Oldenburger Kaserne. Es war eine unangenehme Fleischbeschau, das Erleben einer Maschinerie, ohne Interesse für die Person. Dem Abiturienten vom Lande wurde schlagartig klar: In ein solches Kriegsräderwerk wollte ich mich nicht einbauen lassen.

Ich schrieb also, zu Hause angekommen, noch am selben Tag meine Begründung für die Verweigerung.

Es war die Zeit, als die Kohl-Regierung gerade die Gewissensprüfung abgeschafft hatte, eine überfällige Reform, die aber einher ging mit einer Verlängerung der Zivildienstzeit von 16 auf 20 Monate. Fünf Monate länger als Bundeswehr, eine grobe Ungerechtigkeit!

Statt lauem Job zur Rettungswache

So ging ich im Sommer 1984 auf die Suche nach einer Zivistelle.

Eigentlich hatte ich Aussicht auf einen „lauen Job“, Schraubensortieren beim Hausmeister im Krankenhaus. Aber das war nur für „Heimschläfer“, und ich wollte unbedingt nach dem Abi von zu Hause weg. Da kam dann nur die Rettungswache der Malteser in der nächsten Stadt in Frage. Es gruselte mich zwar vor der Aufgabe: Mit Schwerkranken, Schwerverletzten, gar Toten umgehen zu müssen – hartes Brot für einen unbedarften Achtzehnjährigen. Am 1. August 1984 ging es los: die Tasche aufs Mokick geschnallt, losgefahren, abgeschnallt und Einzug in ein Zweibettzimmer in der Zivibude oberhalb der Rettungswache Vechta.

Der Grusel verging schnell

File:Malteser Rettungsdienst.jpg - Wikimedia Commons
Fahrten mit dem Rettungswagen sind nur ein Teil der Arbeit der Malteser. (Hinweis: gestellte Szene) Foto: Malteser Hilfsdienst e.V. Stuttgart; CC BY-SA 3.0.

Der Grusel verging schnell, es gab ja zahlreiche Praktika im Krankenhaus, auf der Intensivstation, im OP-Saal, bald schon konnte ich „Blut sehen“. Die Tätigkeit war vielseitig, von Wagenwaschen und Desinfizieren über Hecken schneiden zu Rettungswagen fahren und Notärzte im flotten BMW mit Blaulicht aus dem Krankenhaus holen. Viele Krankentransporte mit alten Menschen, dabei hinten drin sitzen, menschliche Gespräche führen. Abends meist freundschaftliches WG-Leben, ab und an auch mal ein paar Bier mit den anderen Zivis.

Wir waren auf der Wache etwa acht Zivis, keine Drückeberger. Nachts musste auch ich von Zeit zu Zeit den Rettungsdienst des ganzen Landkreises koordinieren, Notrufe entgegennehmen, Funksprüche absetzen, Wagen losschicken. „Johannes Vechta 10 von 01 kommen“ hieß: Die Leitstelle ruft den Rettungswagen – und so weiter.

Ohne Zivis lief nichts

Ohne uns Zivis wäre das damals in Stadt und Landkreis Vechta gar nicht gelaufen. Das wurde schlagartig klar, als wir einmal streikten – was ich mitorganisiert habe. Der Grund war der Versuch, ein starres Dreischichtsystem über 24 Stunden für uns Zivis einzuführen. Nach zwei Tagen – übrigens illegaler – Arbeitsniederlegung gaben die Dienststellenleiter nach. Von da an hatten wir menschlichere Dienstzeiten und ein herzliches Verhältnis miteinander. Das war eine positive Demokratie-Erfahrung.

Der Zivildienst war am Ende gar nicht zu lang für mich. Die Dauer motivierte die Dienststelle dazu, mir – und meinen Mitzivis – nach zehn Monaten die komplette Rettungssanitäterausbildung zu spendieren. Ich hätte nach dem Zivildienst sogar in dem Beruf weiterarbeiten können. Aber es zog mich dann doch weiter weg von der Heimat, und so begann ich im April 1986 mein Studium der Geschichte an der Kölner Uni.

Aber die zwanzig Monate will ich nicht missen.

Hinweis: Zwar gibt es den Zivildienst nicht mehr, aber bei den Maltesern kann man ein Freiwilliges Soziales Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst absolvieren.

Wenn ihr auch noch eine Geschichte zu erzählen habt, kommentiert unter den Beiträgen oder schreibt eine Mail an info@gegen-vergessen.de.

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