Demokratiegeschichten

Mathilde Franziska Anneke und ihr Kampf um transatlantische Frauenemanzipation

In der Beschäftigung mit historischer Migration geht es meist darum, welche Menschen in ein Land einwanderten. Doch Teil der Migrationsgeschichte sind auch diejenigen, die gehen. Gerade mit Blick auf die Geschichte des 19. Jahrhunderts ist Auswandern ein Massenphänomen.  So gingen zwischen 1816 und 1914 beispielsweise rund 5,5 Millionen Deutsche in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Auf der Suche nach Demokratie

Mit Blick auf Demokratiegeschichte sticht dabei eine Gruppe von 4.000 bis 10.000 Männern und Frauen heraus, die während oder nach der Revolution von 1848/49 aus politischen Gründen auswanderten. In der neuen Heimat erhielten sie deshalb den Namen „Forty-Eighters“. Die Auswandernden setzten sich zusammen aus Anhänger:innen verschiedenster politischer Strömungen. Doch sie alle hatten den Wunsch, in einer Demokratie zu leben.

Die meisten Forty-Eighters waren auch nach ihrer Auswanderung weiterhin politisch aktiv. Häufig engagierten sie sich für die 1854 gegründete Republikanische Partei, die sich unter anderem gegen die Sklaverei einsetzte. Viele kämpften dann auch im Amerikanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Nordstaaten. Auch im Bildungssektor war der Einfluss der Forty-Eighters zu spüren, etwa im Bereich der frühkindlichen Erziehung in Kindergärten.

Ähnliches galt für das Schulwesen, wo sie sich für progressives Reformunterrichten einsetzten. Gerade viele der bekannteren Forty-Eighters waren als Journalist:innen sowie Publizist:innen im Zeitungswesen tätig. Darüber hinaus organisierten sich die Ausgewanderten in Turnvereinen und Männerchören und veranstalteten deutsch-amerikanische Volksfeste. Dabei war die Revolution von 1848 lange zentraler Ort der Erinnerungskultur der Forty-Eighters.

Das Problem mit der Ehe

Mathilde Franziska Anneke, circa 1840. Quelle: Zeichnung aus Der Märker, gemeinfrei

Weil es sich bei diesen Ausgewanderten um eine derart diverse Gruppe handelte, ist es unmöglich, den oder die eine zu nennen, die exemplarisch für alle stehen könnte. Was sie wiederum eint, ist der Umstand, dass sie alle eine deutsch-amerikanische Migrationsgeschichte haben. Eine Geschichte wie beispielsweise die von Mathilde Franziska Anneke (1817–1884), die die Historikerin Irina Hundt „zu den herausragenden Demokratinnen des 19. Jahrhunderts“ zählt. Ihr großer Verdienst war ihr Beitrag zur Frauenemanzipation.

Wie so oft waren es auch bei Mathilde Anneke persönliche Erfahrungen, die sie auf soziale Missstände aufmerksam machten. So ging ihre erste Ehe 1837 in die Brüche, was sie gesellschaftlich ruinierte. Dies führte ihr unmissverständlich vor Augen, in welcher machtlosen Position und unter welchem Maß an sozialer Kontrolle sich Frauen befanden. Zwei Jahre später zog Mathilde Anneke dann nach Münster, wo sie erste Artikel zu gesellschaftspolitischen Fragen und im Speziellen zur Rolle der Frau veröffentlichte.

1847 folgte sie Fritz Anneke, einem aus der preußischen Armee entlassenen Artillerieleutnant, nach Köln und heiratete ihn wenig später. Die Annekes organisierten bald mehrmals in der Woche Treffen mit Gleichgesinnten, um gemeinsam zu lesen, zu musizieren und zu diskutieren. Darüber hinaus beteiligten sich die Annekes an zahlreichen Massenkundgebungen und Vereinsgründungen, von denen Mathilde Anneke in verschiedenen liberalen Zeitungen berichtete.

Engagement auf beiden Seiten des Atlantiks

Mit Unterstützung ihres Mannes arbeitete Anneke außerdem an der Herausgabe einer „sozial-demokratischen“ Tageszeitung. Im September 1848 erschien dann tatsächlich die erste Ausgabe der Neuen Kölnischen Zeitung für Bürger, Bauern und Soldaten (NKZ). Das Blatt sprach sich aus für die „Schaffung sozialer Gerechtigkeit durch die Beseitigung der spätfeudalen Verhältnisse und die Gründung einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft im vereinten Deutschland.“

Mathilde Franziska und Fritz Anneke (links im Bild) mit pfälzische Revolutionssoldaten, 1849. Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe, Inv. Nr. J-G-P/1, gemeinfrei

Nachdem sich die Annekes beide militärisch an den revolutionären Kämpfen im Mai 1849 in Südwestdeutschland beteiligt hatten, flohen sie kurz vor dem Fall der Festung Rastatt in die Schweiz. Noch während der Flucht schrieb Mathilde Anneke Zeitungsberichte und hielt ihre Erlebnisse in ihren Memoiren fest. Im Oktober 1849 emigrierten die Annekes von Le Havre aus schließlich nach New York.

Auch in den USA setzte Anneke ihre frauenemanzipatorischen Tätigkeiten fort und sprach sich als talentierte Rednerin für das Frauenwahlrecht aus. 1852 gründete Mathilde Anneke die Deutsche Frauen-Zeitung. Central-Organ der Vereine zur Verbesserung der Lage der Frauen, in der sie die Frauenemanzipation aufs Engste mit der Sozialen Frage verband. Sie scheute sich darüber hinaus nicht, auch Demokratiedefizite in den USA offen anzusprechen. So befürwortete sie beispielsweise gegen die Sklaverei auch radikale Formen des Protests.

Es spricht für Sie heute …

Weiterhin verfolgten die Annekes in der Hoffnung auf einen Revolutionsschub die politischen Ereignisse in Europa, ließen sich sogar für ein paar Jahre in Zürich nieder, wo Anneke weiterhin publizierte. Dabei schrieb sie nicht nur journalistische Texte, sondern war auch politisch-belletristisch tätig. Als eine von wenigen Autorinnen konnte sie sich sowohl in Deutschland als auch in den USA als erfolgreiche Schriftstellerin etablieren.

Mathilde Franziska Anneke in hohem Alter, vermutlich 1880er Jahre. Quelle: unbekannt, gemeinfrei

1865 kehrte Mathilde Anneke dann in die USA zurück und gründete ein Bildungsinstitut für Mädchen. Ihre frauenemanzipatorische Tätigkeit gipfelte 1869 in der Wahl zur Vizepräsidentin und Vertreterin des Staates Wisconsin im Vorstand der National Woman Suffrage Association. Ihren letzten großen öffentlichen Auftritt lieferte sie im Juni 1880 als Eröffnungsrednerin des Frauenkongresses in Milwaukee.

Wie so viele Vorreiter:innen war Anneke ihrer Zeit voraus. Trotz ihrer großen Bemühungen um Frauenemanzipation und Gleichberechtigung auf zwei Kontinenten ähnelte Annekes Leben einem Kampf gegen Windmühlen. In den Worten von Annette P. Bus: „[S]he remained an outsider, a feminist in an environment which largely ridiculed the idea of women’s equality.”

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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