Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Hintermänner vor Gericht. Der Prozess gegen die Organisation Consul

„Offenburg, 7. Juni. Der mit Spannung erwartete Prozeß gegen den Kapitänleutnant a. D. v. Killinger, der beschuldigt wird, die mutmaßlichen Mörder des Reichstagsabgeordneten Erzberger, die Studenten Schulz und Tillessen, unterstützt zu haben, nahm heute unter großem Andrang im Schwurgerichtssaale des alten Ritterhauses seinen Anfang. Die Auslosung der Geschworenen nahm geraume Zeit in Anspruch.“

Das Attentat

Der ehemalige Reichsfinanzminister Matthias Erzberger wurde am 26. August 1921 bei einem Spaziergang im Schwarzwald von zwei jungen Männern überfallen und erschossen. Die beiden, Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen, konnten sich ihrer Verhaftung durch die Flucht nach Ungarn entziehen.

Hintermänner

Originaltitel: „Der Führer überall ! Reichskanzler Adolf Hitler mit dem Reichskommissar für Sachsen, Manfred von Killinger“, 1930, Quelle: Bundesarchiv Bild 102-14460, Foto: Georg Pahl

Manfred von Killinger soll ihnen bei der Flucht geholfen haben und ist deshalb seit Monaten in Haft. Jetzt steht er vor dem Schwurgericht. Drei Berufsrichter und 12 Geschworene müssen das Urteil fällen. Das Gerichtsgebäude in Offenburg wird durch ein großes Polizeiaufgebot gesichert, da seit geraumer Zeit Gerüchte über einen gewaltsamen Befreiungsversuch kursieren.

Der sozialdemokratische „Vorwärts“ berichtet am 7. Juni 1922 weiter:

„In seiner Belehrung an die Geschworenen machte der Vorsitzende darauf aufmerksam, daß es sich um einen Prozeß mit politischem Einschlag handele, daß aber die Verhandlung selbst eine reine Verstandesangelegenheit sein müsse, die mit politischer Ueberzeugung nichts zu tun habe.“

Es geht um die Ermordung eines Politikers und um Beihilfe zu dem Mord. Der Vorsitzende Richter sieht sich aber – so die „Frankfurter Zeitung“ – zu dieser Feststellung genötigt:

„Es hat uns nicht etwa der Gedanke zu leiten, ob die Ermordung Erzberger für das öffentliche Wohl günstig oder ungünstig war, sondern wir haben nur darüber zu befinden, ob Schulz und Tillessen den Mord begangen haben und ob Killinger ihnen Beihilfe geleistet hat.“

Was wusste die O.C.?

In der Münchner Wohnung Killingers und in der Zentrale der Organisation Consul“ sind zahlreiche Akten gefunden worden, die Aufschluss über den Aufbau und die Größe der Geheimorganisation zulassen. Im Prozess gegen Killinger geht es nun darum nachzuweisen, dass dieser schon in die Planung der Tat eingeweiht gewesen ist. Killinger selbst behauptet, in „harmloser Hilfsbereitschaft“ gehandelt zu haben. Die Oldenburger „Nachrichten aus Stadt und Land“ am 8. Juni 1922 berichten:

„Über die Organisation C gab der Angeklagte interessante Aufschlüsse. Der Zweck der Organisation war der, die vollkommene Bolschewisierung Deutschlands zu verhindern. Er sagte, wir bekämpften die Weimarer Verfassung mit Wort und Schrift, aber wir hatten nicht die Absicht, sie mit Gewalt zu beseitigen. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob die Organisation nicht auch die Beseitigung von Politikern im allgemeinen und von Erzberger im besonderen verfolgte, verneinte dies der Angeklagte. Auf weitere Fragen des Vorsitzenden gibt Killinger nur ausweichende Antworten oder harmlos klingende Erklärungen. Von der Absicht des Schultz und Tillessen, Erzberger zu ermorden, will er nichts gewußt haben.“

Diffamierung des Opfers im Gerichtssaal

In den folgenden Verhandlungstagen werden die zahlreichen Zeugen vernommen, deren Aussagen die Presse aufmerksam verfolgt. Immer wieder ist im Gerichtssaal zu hören, dass angeblich Erzberger Deutschland geschadet habe. Die vernommenen Angehörigen der Organisation Consul äußern unverhohlen ihren Hass auf den Ermordeten, bestreiten jedoch, dass es in ihren Kreisen Mordpläne gegeben hätte.

Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ nutzt am 8. Juni 1922 die Aussage des Bezirksarztes, der die Obduktion der Leiche Erzbergers vorgenommen hat, um die Tat herunterzuspielen und Erzberger als Trinker zu diffamieren. Der Arzt habe zur allgemeinen Verfassung des Ermordeten geäußert:

„Die Sektion ergab das bekannte Bild der Arterienverkalkung. Die Leber war durch Fetteinlagerungen ebenfalls außerordentlich groß. Wir müssen annehmen, wenn wir dies alles zusammenfassen, daß der Verstorbene auch ohne das Attentat in absehbarer Zeit eines natürlichen Todes gestorben wäre.“

In der Beweisführung geht es vor allem darum, die Täterschaft Schulz´ und Tillessens unzweifelhaft festzustellen. Denn nur dann kann Killinger wegen Mitwissenschaft und Beihilfe verurteilt werden. Dies scheint auch zu gelingen.

Fehlurteil …

Aber als die Beweisaufnahme am 13. Juni abgeschlossen ist und die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigung gehalten sind, sprechen die Geschworenen nach nur zehn Minuten Beratung Manfred von Killinger frei. Der Angeklagte habe sich weder der Mitwisserschaft noch der Beihilfe schuldig gemacht – ein klares Fehlurteil.

Der sozialdemokratische „Vorwärts“ vermutet daraufhin am 18. Juni 1922 mit bitterem Sarkasmus,

„daß eine Wette auf den gerichtlichen Freispruch reaktionärer Mörder, Helfershelfer, Waffenschieber, Putschisten usw. die sicherste Gewinnchance in Deutschland biete […].“

Die „Vossische Zeitung“ erblickt den Hauptfehler darin, dass man das Verfahren wegen Geheimbündelei gegen die Organisation Consul vom Offenburger Verfahren abtrennte. Sie fragt:

„Wie wird der Freispruch wirken? Für die Aufnahme bei der Rechten gibt der Kommentar eines deutschnationalen Spätabendblattes den Ton an. Dort stellt man sich, als sei mit dem Freispruch auch die Schuldlosigkeit erwiesen und versteigt sich soweit, Killinger als einen ‚Märtyrer der ungezügelten Volksleidenschaften‘ hinzustellen. Davon kann natürlich gar keine Rede sein. Die Beweisaufnahme hat, so karg sie in diesem Punkte war, unzweideutig ergeben, daß Killinger, wenn auch nicht notwendig Beihilfe, so doch Begünstigung für die Mörder geübt hat.“

… als Aufforderung zum Mord?

Wenige Tage nach dem Urteil im Erzberger-Prozess wird dann Außenminister Walther Rathenau erschossen, wiederum durch Angehörige der Organisation Consul. Im Reichstag macht der Linkssozialist Arthur Crispien das Gericht in Offenburg mitverantwortlich. Der Freispruch Killingers, sagt er, sei eine direkte Aufforderung zum Mord gewesen.

Originaltitel: „Der deutsche Gesandte in Bukarest Opfer seiner Pflichterfüllung Bei einem Überfall rumänischer Soldaten auf das Gebäude der deutschen Gesandtschaft in Bukarest, der in der Absicht durchgeführt wurde, die Mitglieder der Gesandtschaft zu verschleppen und den Bolschewisten auszuliefern, hat der deutsche Gesandte in Bukarest, Manfred von Killinger, in treuer Pflichterfüllung für Führer und Reich den Tod gefunden. Scherl Bilderdienst 23.9.1944 [Aufnahme Juli 1940]“, Quelle: Bundesarchiv Bild 183-L07770, Foto: Heinscher

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Attentäter vor Gericht gestellt werden, sagen sie aus, von Killinger habe ihnen den Auftrag zum Mord erteilt. Der Prozess findet 1950 im gleichen Offenburger Gerichtssaal statt, in dem 28 Jahre zuvor der Prozess gegen den Rathenau-Mörder Heinrich Schulz stattfand. Er erhält eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren. Killinger, der zuvor in der rumänischen Hauptstadt Bukarest die Deportation der rumänischen Juden mit organisiert hatte, kann nicht mehr belangt werden. Er hat sich 1944, beim Vorrücken der Roten Armee, das Leben genommen.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland.  

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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