Demokratiegeschichten

30.01.1933: Tag der Machtübertragung

Machtergreifung, Machtübernahme, Machtübergabe, Machtübertragung – was ist denn nun richtig?

Viele verschiedene Begriffe gibt es für ein Ereignis des 30.01.1933. An diesem Tag ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Es ist eines der wesentlichen Ereignisse, was am Ende der Weimarer Demokratie steht.

Doch warum diese Demokratie endete, das ist nach wie vor eine viel diskutierte Frage. Hatte Weimar zu wenig Unterstützer:innen? Waren ihre Gegner:innen zu mächtig? Oder wählte sich die Demokratie letztlich selbst ab?

Ein Zeitzeuge berichtet

Werner Monk erlebte als 11-Jähriger die Ereignisse im Januar 1933 wie folgt:

Es herrschte Ruhe auf der Straße, trotz der tosenden Begeisterung von Menschenmassen in Berlin, die wir dann am Wochenende in der Wochenschau im Kino erlebten. Wir sahen auch den Opa Hindenburg mit Hitler am Fenster stehend, die gemeinsam den Vorbeimarsch der uniformierten Kolonnen der NSDAP, des Stahlhelms und anderer rechter Wehrverbände abnahmen. Hindenburg strahlte förmlich beim Anblick dieser, in so tadelloser militärischer Ordnung an ihm vorbeiziehenden Einheiten, das war für ihn der langentbehrte Anblick eines guten, deutschen Menschenmaterials! Nun konnte Deutschland wieder groß werden, mit solchen Männern, die doch ein ganz anderes Bild boten als die so unguten Demonstrationen der ungeordneten Haufen aus dem linken Lager, die samt und sonders doch wirklich nur vaterlandslose Gesellen waren.

Bei dem Anblick dieser geordneten rechten Organisationen muß das Herz des alten, preußischen Feldmarschalls doch wieder ganz hoch geschlagen haben, aber wohl nicht nur bei ihm. Die deutsch-preußischen Herzen von Millionen Deutscher haben an dem Abend und in der Nacht höher geschlagen. In Berlin marschierten nicht nur die militanten Kolonnen, es standen auch zivile Menschenmassen auf den Straßen, die laut jubelten und immer wieder das Deutschlandlied sangen und immer wieder diesen beiden deutschen Männern zujubelten, die am Fenster stehend die brausenden Ovationen entgegennahmen.


Zeitzeugenbericht von Werner Monk (*1921 ) aus Kronach, verfasst im Juli 2004. 
File:Bundesarchiv Bild 146-1972-026-11, Machtübernahme Hitlers.jpg
Originaltitel: 30. Januar 1933 Hitler am Fenster der Reichskanzlei in der Wilhelmstraße in Berlin bei der Entgegennahme der Ovationen der Bevölkerung am Abend des Tages (Aufnahme: Robert Sennecke, Berlin); Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1972-026-11 / Sennecke, Robert / CC-BY-SA 3.0.

Wer nimmt/gibt die Macht?

Die Nationalsozialisten selbst vermieden das Wort Machtergreifung. Sie sprachen dagegen von Machtübernahme: Übernahme suggeriert Kontinuität, dass etwas auf legalem Wege fortläuft. Ergreifung klingt hingegen nach Gewalt.

Auch in der Gegenwart benutzen viele Historiker:innen das Wort Machtergreifung nicht. Oder zumindest nicht ohne Anführungszeichen. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Zum einen, dass Ergreifung so klingt, als hätte es sich dabei um eine Art Staatsstreich gehandelt, bei dem die Bevölkerung passiv zuschaute. Tatsächlich hatte die NSDAP aber große Sympathie in der Bevölkerung und erfuhr viel Unterstützung. So berichtete Werner Monk über die Bilder aus Berlin:

Das war kein befohlener Jubel, der wäre auch gar nicht möglich gewesen, das war der Jubel einer echten Begeisterung, auch wenn man die heute immer wieder abschwächen möchte […].

Zeitzeugenbericht von Werner Monk (*1921 ) aus Kronach, verfasst im Juli 2004.

Demokrat:innen gegen Demokratie?

Zum anderen ist der 30. Januar nur ein Tag von vielen, der zur Herrschaft der Nationalsozialisten führte. (Wenn auch zugegebenermaßen ein wichtiger.) Die Ausschaltung demokratischer Institutionen geschah nach und nach. So liefen etwa Wahlen Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre, an denen die NSDAP beteiligt war, oft noch demokratisch ab. Auch die Bestätigung Hitlers als Reichskanzler war rechtlich legal. Minister seines Kabinetts, die aus anderen Parteien kamen, dachten lange, sie könnten Hitler im Zaum halten. Sie gestanden der NSDAP daher Rechte und Macht als „Besänftigung“ zu, was sich rückblickend als fatal erwies.

Originaltitel: „Die deutschen Faschisten bilden nach der Machtergreifung am 30.1.1933 ihr erstes Kabinett unter Adolf Hitler.“; Foto: Bundesarchiv, Bild 183-H28422 / CC-BY-SA 3.0.

Von der Weimarer Demokratie als „Demokratie ohne Demokrat:innen“ ist manchmal die Rede. Damit ist in der Regel gemeint, dass viele noch dem Kaiserreich nachhingen und eine Autoritätsfigur herbeisehnten. Diese Person sollte ein Machtwort sprechen und Entscheidungen treffen. Für die länger dauernden Parlamentssitzungen und Entscheidungsprozesse hatten viele Bürger:innen kein Verständnis. (Dennoch stimmte die Mehrheit der Bevölkerung bis 1932 aber für demokratische Parteien.)

Vielleicht könnte man „Demokratie ohne Demokrat:innen“ aber auch so verstehen, dass selbst überzeugte Demokrat:innen nicht so viel Erfahrung mit Demokratie hatten. Möglicherweise übersahen sie deshalb Warnsignale, die wir aus heutiger Sicht klarer einordnen würden.

Spätestens der Reichstagsbrand, die anschließende Notverordnung und die Wahlen im März 1933 zeigten, dass die Weimarer Demokratie am Ende war. Doch wie vielen Bürger:innen dieser Übergang von Demokratie zu Diktatur bewusst war, oder wann er ihnen bewusst wurde, lässt sich heute für spätere Generationen schwer nachvollziehen.

Gegen die Demokratie mit ihren eigenen Verdiensten

Persönlich finde ich die Geschehnisse von 1933 bedenklich, insbesondere wenn man 1923 im Hinterkopf behält. 1923 versuchte Hitler mit Gewalt, sich zur Macht zu putschen und scheiterte. Zehn Jahre später nutzte seine Partei die Mittel der Demokratie, um diese auszuschalten.

Heute ist unsere Demokratie durch verschiedene Institutionen wehrhafter. Dazu gehört etwa die sogenannte „Ewigkeitsklausel“: Artikel 1 bis 20 sowie die Funktion der Länder können nicht abgeschafft werden. Parteien und Vereinigungen können verboten werden, wenn sie gegen das Grundgesetz verstoßen. Weitere Bestimmungen kommen dazu.

Trotz dieser höheren Wehrhaftigkeit: Die Augen offen halten und die Demokratie verteidigen müssen wir auch heute.

Artikel Drucken
Markiert in:
Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert