Demokratiegeschichten

„Das Urteil war politisch motiviert“ – Interview mit der Zeitzeugin und Demonstrantin Henriette Zobel

Ist Henriette Zobel zurecht als schirmschwingende „Furie” in die Geschichte eingegangen? Eine politisierte, engagierte Frau äußert sich zu ihrer Verurteilung wegen des Mordes an den Paulskirchenabgeordneten Hans von Auerswald und Felix von Lichnowsky.

Frau Zobel, heute, im Januar 1865, wurden Sie gerade nach 15 Jahren im Landeszuchthaus zu Marienschloß bei Rockenberg entlassen. Beschreiben Sie uns Ihre Emotionen bezüglich Ihrer wiedergewonnenen Freiheit.

Das ist schwierig, darauf kann ich Ihnen keine eindeutige Antwort geben. Ich habe meine Freiheit durch wiederholte Gnadengesuche schwer erkämpft, welche nur aufgrund meines miserablen Gesundheitszustandes zugelassen worden sind. Jetzt bin ich alt und krank und als die Fürstenmörderin in die deutsche Geschichte eingegangen. Meine Euphorie hält sich dementsprechend in Grenzen.

Ich bin natürlich glücklich, aber mich quälen täglich die Ungerechtigkeiten meines Prozesses. Des Weiteren, obwohl ich meine Strafe verbüßt habe, ist es mir immer noch verboten, in meine Heimat Frankfurt zurückzukehren. 15 Jahre nach den Septemberaufständen will man mir immer noch nicht unbegrenzte Freiheit gewähren. Ich vermisse Frankfurt.

Sie haben Ihren „ungerechten“ Prozess und die Strapazen der Haft erwähnt. Könnten Sie dies weiter erläutern?

Wie Sie wahrscheinlich wissen, habe ich während meines Prozesses zum Spott des Gerichtes lange meine Unschuld behauptet. Ich erinnere mich am 24. September 1848 in meiner Bornheimer Wohnung in Frankfurt verhaftet worden zu sein. Mein Prozess zog sich bis 1853. Können Sie sich das vorstellen? Fünf Jahre in Untersuchungshaft mit nur einer Suppe, Wasser und Brot pro Tag. Ich habe kein Betttuch, kein Handtuch, noch nicht mal einen Waschkübel erhalten, was doch gewiss selbst für den Unglücklichsten unentbehrlich ist.

Das Corpus Delicti im Fall der Ermordung war lediglich mein Regenschirm, auf welchem die Anklage hauptsächlich beruhte. Ich bin sicher, dass ich niemanden in der Menschenmenge mit dem Regenschirm schwer getroffen habe. Trotz meiner zahllosen Erklärungen wurde ich im Januar 1853 wegen Teilnahme an einem Komplott zur Tötung des Generals von Auerswald sowie zur Anstiftung und Rädelsführung vom Appellationsgericht Frankfurt vorerst zu vollen 16 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Ich erbebe immer noch vor Zorn, wenn ich an diese frei erdachten Anschuldigungen zurückdenke. Mein Handeln war spontan im Kampf für die deutsche Demokratie entsprungen – kein geplantes Attentat. Die Anschuldigungen wegen Anstiftung und Rädelsführung wurde zurückgezogen, wodurch sich meine Haft auf 15 Jahre reduzierte.

Glauben Sie, dass Ihre Rolle als Frau während der Revolution ein entscheidender Faktor für Ihre Verurteilung gewesen ist?

Ja, ich bin sicher, dass mein Urteil auf der Basis meines Geschlechts und nicht auf handfesten Beweisen basiert hat. Das Urteil war drakonisch und politisch motiviert. Im Jahr 1848 war die Gesellschaft nicht bereit für den Eintritt der Frauen in die Sphäre der Politik, vor allem da dies oft Flucht aus der Ehe sowie Emanzipation voraussetzte. Daher haben wir unsere Forderungen stärker artikuliert. Frauen traten bei Barrikadenkämpfen in Erscheinung und zogen später als Freischärlerinnen in kriegerische Auseinandersetzungen.

Frauen der Revolution, zu welchen ich selbst gehöre, haben sich ihren Platz in der demokratischen Bewegung hart erkämpft und sind zu einem aktiven Bestandteil der Revolution geworden. Folglich stellten wir Fragen wie: Warum ist das Geschlecht eine Bedingung für politische Teilhabe oder Rechte? Die Männer wollten sich damit nicht auseinandersetzen, worauf deren natürliche Reaktion die Unterdrückung aller Frauen war. Meiner Meinung nach war dies ein Scheinprozess, um an allen Frauen ein Exempel zu statuieren.

Sie haben lange Ihre Unschuld vor Gericht beteuert. Jetzt, wo Sie entlassen sind, können Sie uns die Wahrheit über den 18. September 1848 erzählen. Haben Sie tatsächlich zwei Morde begangen?

Ich denke oft über diesen Tag nach, den 18. September 1848, welcher mein Leben für immer dramatisch verändert hat. Barrikadenkämpfe gegen die Bundestruppen hatten rund um die Paulskirche stattgefunden. Die Wut der revolutionären Kräfte entlud sich. Auch ich habe an diesem Tag eine Wut wie nur selten davor empfunden. Unsere Enttäuschung über die Paulskirchen-Abgeordneten hatte sich zugespitzt.

Die Ermordung der Abgeordneten von Auerswald und von Lichnowsky, nach einer Vorlage von Johann Wilhelm Völker, 1848. Quelle: gemeinfrei

Ich war mit meinem Ehemann unterwegs, als ich unmittelbar ins Geschehen geriet.  General Hans von Auerswald und Fürst Felix von Lichnowsky waren auf einem Erkundungsritt durch die Stadt. Ich lief auf der Friedberger Chaussee entlang, als ich die große Menschenmenge bemerkte, welche die Abgeordneten schreiend verfolgten. Meine Wut entlud sich. Ich folgte meinem Impuls und schloss mich der Menschenmasse an. Im Zuchthaus hatte ich Zeit zu reflektieren und mich zu fragen: Was wäre geschehen, wäre ich nicht meinem Impuls gefolgt? War dies die richtige Entscheidung?

Aus den Prozessakten geht hervor, dass Zeugen Sie laut rufen haben hören „Auf sie! Das sind die Spitzbuben“ und „Das ist der Spitzbub, der das Volk schon lang genug gemordet hat; dem gehört eine Kugel vor den Kopf.“

Ja, diese Aussagen habe ich getroffen. Die rennende Menschenmenge bewarf die Abgeordneten mit Steinen. Ich schloss mich der Gruppe an und verfolgte Lichnowsky und Auerswald.  Das Versagen der Nationalversammlung, ein starkes und demokratisches Deutschland zu schaffen, verleitete mich dazu, Steine zu ergreifen und die Männer zu bewerfen. Zunächst konnten die beiden fliehen und waren nicht auffindbar. Wir folgten den Abgeordneten in das Haus des Kunstgärtners Schmidt.

Dort erinnere ich mich, wie ich rief, dass Lichnowsky und Auerswald Spitzbuben seien. Meine Mitkämpfer zogen die Abgeordneten daraufhin in den Garten des Hauses, wo sie dann starben. Ich stach mit meinem Schirm. Mehrmals schlug ich auf den Kopf von General Auerswald ein, während ich rief, dass er ein Spitzbub sei, der das Volk schon lang genug „gemordet“ habe; dem gehöre eine Kugel „vor den Kopf“. Diese Aggression war im Affekt und in reiner Aufregung entstanden. Zu meinem Schreck löste sich ein Schuss, der Auerswald tötete.

Zeugen haben berichtet, dass Sie angeblich mit einem großen Stein Auerswald endgültig getötet haben. Was sagen Sie dazu?

Mit einem Stein? Das habe ich nicht getan, mit einem Regenschirm, das will ich nicht in Abrede stellen. Nachdem Auerswald aufgrund seiner Schussverletzung am Boden lag, nahm ich meinen Regenschirm und schlug ebenfalls auf Lichnowsky ein. Ich bin bis heute nicht sicher, ob ich Lichnowsky überhaupt mit meinem Regenschirm getroffen habe. Wie Sie sehen, ist die Beweislage für meine Verurteilung sehr dünn gewesen und beruhte ausschließlich auf Zeugenaussagen.

Aus Ihren Berichterstattungen geht hervor, dass Sie eine politisch informierte Frau waren, obwohl Sie ausgesagt haben, Sie hätten immer „nur die Dekorierung in der Paulskirche“ beobachtet und kein Interesse am politischen Geschehen gehabt. Entspricht diese Aussage der Wahrheit?

Nein, ich war und bin äußerst politisch interessiert. Ich habe regelmäßig als heimliche Zuschauerin die Verhandlungen der Deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche mitverfolgt. Wie ich bereits zu Beginn erläutert habe, war ich eine Frau, welche versuchte, aus ihrer häuslichen Rolle zu entfliehen und am politischen Geschehen teilzuhaben. Aus diesem Grund log ich und erklärte, dass ich nur die „Dekorierung der Paulskirche“ ansehen wollte.

Ich habe als Kind eine „angemessene Schulbildung“ in weiblichen Arbeiten wie Hand- und Hausarbeit erhalten. Meine Eltern sandte mich zur Schule des Lehrers Bardofs, welcher mich während meines Prozesses als „friedfertige“ Person bezeichnete. Die Charakterisierung als „friedfertige“ Person wird man nach diesem Interview in Frage stellen, aber meine tiefe Leidenschaft für Politik und „Kampfbereitschaft“, welche zu der Attacke führten, beruht auf meiner ersten Ehe mit Friedrich Krähe.

Diesen heiratete ich im Jahr 1833. Er war untreu und hat mich schwer misshandelt. Während meiner Ehe versuchte ich, den häuslichen Räumen zu entfliehen und entwickelte folglich die tiefe Passion für Politik. Seither bin ich eine politisch interessierte und engagierte Frau, welche immer ihre Ideale verteidigt.

Die Autorinnen: Das Interview führten Felicitas Faulstroh und Lilli Boeser, Geschichte LK/Q2, Anna-Schmidt-Schule Frankfurt am Main

Dieser Beitrag ist Teil des Projekts „Geist der Freiheit“. Es hat Akteur*innen verschiedener Bereiche in der Rhein-Main-Region eingeladen, an einer Zeitung zum Revolutionsjubiläum 1848/49 mitzuwirken. Sie berichten über Orte, Ereignisse und Personen der Zeit und fragen, was uns die Revolution auch nach 175 Jahren heute angeht. Acht Beiträge von Schüler:innen der Anna-Schmidt-Schule erscheinen in Kooperation mit Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. vorab auf dem Blog „Demokratiegeschichten“. Das „Extrablatt im Geist der Freiheit“ ist kostenfrei bei der KulturRegion FrankfurtRheinMain erhältlich. Weitere Informationen finden Sie hier.

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