Demokratiegeschichten

Ein Schlussstrich unter die Revolution – der Wiener Kongress

Als die Mächtigen Europas am 18. September 1814 in der prachtvollen österreichischen Hauptstadt zu einem Kongress zusammenkommen, geht es um nicht weniger als die Zukunft des Kontinents. Denn seit dem Ausbruch der Französische Revolution vor einem Viertel Jahrhundert ist eine tiefgreifende Umwälzung nach der anderen über die europäischen Herrscherhäuser hereingebrochen. Napoleon Bonaparte hat in den letzten Jahren den Kontinent nach seinem Willen geformt und umgestaltet. Doch jetzt ist der Kaiser der Franzosen besiegt und in die Verbannung geschickt. Nun möchten die Fürsten auf dem Wiener Kongress die ihrer Meinung nach aus den Fugen geratene Welt wieder in Ordnung bringen.

Fürsten unter sich

Unter der Leitung des österreichischen Staatskanzlers Fürst Klemens von Metternich findet der sogenannte Wiener Kongress im Außenministerium im Palais am Ballhausplatz, seinem Amtssitz, statt. 200 Teilnehmende, von riesigen Staaten bis hin zu freien Städten, beraten über die künftige Ordnung Europas – sie alle waren auf die eine oder andere Weise an den napoleonischen Koalitionskriegen beteiligt.

Fürst Klemens von Metternich. Gemälde von Thomas Lawrence (1815). Quelle: Royal Collection, gemeinfrei

Wie so häufig sind es aber vor allem die Großmächte, die das Sagen haben: das Vereinigte Königreich, Preußen, Österreich, Russland und schließlich, nach einer kurzen Phase der Zurückhaltung, auch wieder Frankreich. Eines ist ganz klar: Es sind die Fürsten, die hier miteinander verhandeln. Die Interessen ihrer Untertanen, der europäischen Völker, sind zweitrangig.

Nach dem Sturz Napoleons legen die Siegermächte bereits im Friedensvertrag, der mit Frankreich unter der wiedereingesetzten Bourbonenmonarchie unter Ludwig XVIII. geschlossen wird, fest, dass ein Kongress stattfinden soll, um die Nachkriegszukunft Europas zu regeln. Denn nach knapp eineinhalb Jahrzehnten, in denen Napoleon den Kontinent nach seinem Willen gestaltete, soll nach Wunsch der Fürsten nun die Zeit zurückgedreht werden.

Moderne Methoden, veraltete Pinzipien

Die Verhandlungen finden – eine Neuheit – in verschiedenen Kommissionen statt, die sich mit festgelegten Themen beschäftigen. So gibt es etwa Ausschüsse zu den deutschen Angelegenheiten und zu Gebietsfragen, zur Rheinschifffahrt und zum Sklavenhandel. Das dort Besprochene legen die einzelnen Teilnehmenden dann wiederum meist in bilateralen Verträgen fest. Zu einer Vollversammlung aller Kongressteilnehmenden kommt es hingegen während der gesamten Zeit nie.

Neben den politischen Verhandlungen finden auch zahlreiche Bälle, Konzerte und sonstige Vergnügungsveranstaltungen statt, da Metternich seinen Gästen den Aufenthalt so angenehm wie nur möglich machen will. Dies geht irgendwann so weit, dass sich verschiedene Teilnehmende sogar beklagen, was denn eigentlich der Zweck des Kongresses in Wien sei. So halten sich die politischen Fortschritte zunächst eher in Grenzen. Berühmt geworden ist Charles Joseph Fürst von Lignes Ausspruch: „Der Kongress tanzt, aber er kommt nicht vorwärts.“

Der Wiener Kongress tagt im Palais am Ballhausplatz (heute Bundeskanzleramt). Quelle: CC BY-SA 3.0

Trotz aller Vergnügungen und Ablenkungen verzeichnet der Kongress aber auch Erfolge. Sie lassen sich anhand mehrerer Prinzipien festhalten: Restauration, Legitimität und Solidarität. Das oberste Ziel der Fürsten ist es, die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Europa vor Ausbruch der Französischen Revolution im Kern wieder herzustellen (Prinzip Restauration). Damit wollen sie alle freiheitlichen und nationalen Bestrebungen, die seit der Revolution überall in Europa aufgekommen sind und noch in Zukunft erwachsen könnten, im Kern ersticken.

Das Ziel aller: ein (fast) absolutes Gleichgewicht

Entsprechend schaffen sie das napoleonische Staatensystem ab. Von nunmehr sollen nur noch die alten Dynastien, allen voran die Bourbonen in Frankreich selbst, Anspruch auf Thron und Herrschaft haben (Prinzip Legitimität). Jedoch nicht alle Änderungen machen die Herrscher rückgängig. Sofern diese den Großmächten zugutekommen, drücken sie auch gerne einmal das eine oder andere Auge zu, wo eigentlich Territorien zurück- oder Titel abgegeben werden müssten.

Und nicht zuletzt stellen die Herrscher die unangefochtene Autorität der Institution Monarchie wieder her. Alles, was nur im Entferntesten mit Liberalismus, Nationalismus oder Demokratie zu tun hat, soll aus den Köpfen der Menschen verschwinden. Um dies sicherzustellen, versprechen sich die Fürsten gegenseitige Unterstützung, sollte es in einem der beteiligten Staaten zu revolutionären Aufständen kommen (Prinzip Solidarität).

Europa nach dem Wiener Kongress 1815. Quelle: CC BY-SA 4.0

Um künftige Kriege verhindern zu können, so sind sich die Großmächte einig, muss es ein Gleichgewicht unter ihnen geben. Aber gerade dieser Punkt kollidiert dann doch häufiger mit den jeweiligen Einzelinteressen der verschiedenen Fürsten. Österreich beispielsweise strebt ein von ihm geführtes Mitteleuropa an, Russland beanspruchte aber einen Großteil Polens. Dagegen ist Großbritannien, das wiederum die Einflusssphäre Russlands beschränken will.

Frankreich hat darüber hinaus keinerlei Interesse an zu weitgehenden Einigungsbestrebungen der deutschen Staaten, was aber mit dem Wunsch Preußens kollidiert, mehr Einfluss über seine kleineren deutschen Nachbarn auszuüben und damit seinen Herrschaftsbereich zu erweitern. Gleichgewicht schön und gut, aber ein bisschen mehr Macht für sich selbst wünschen sich dann doch alle Herrscher.

Grenzziehung nach Kongresses Gnaden

Gerade die Polnisch-Sächsische Frage, in der die Großmachtinteressen heftig aufeinanderprallen, führt nicht nur beinahe zum Abbruch des Kongresses, sondern löst fast den nächsten Krieg aus. Auf der einen Seite stehen Preußen, welches das komplette Territorium Sachsens beansprucht, und Russland, das auf polnischem Boden einen Marionettenstaat unter seiner Herrschaft errichten will.

Österreich und Großbritannien sind von beidem allerdings wenig begeistert, da dies das angestrebte Kräftegleichgewicht zu ihren Ungunsten verschieben würde. Erst als sich Frankreich, das sich bis dahin noch vorsichtig zurückgehalten hat, auf die österreichisch-britische Seite schlägt und daraufhin Preußen und Russland ihre Forderungen zurückfahren, kommt es zu einem Kompromiss.

Für die deutschen Staaten legt der Wiener Kongress fest, dass sie künftig im Deutschen Bund zusammengeschlossen sein sollen. Entsprechend ersteht das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, hinweggefegt vom Willen Napoleons, nicht mehr wieder auf. Ebenso wenig werden die vom Franzosenkaiser befohlene Mediatisierung und Säkularisation rückgängig gemacht. Entschieden wird dies alles im „Deutschen Komitee“, welches unter dem Vorsitz Preußens, Österreichs, Hannovers, Bayerns und Württembergs tagt.

Eine Abschlussakte, die Geschichte schreibt

Der Deutsche Bund soll laut ihrem Willen ein loser Zusammenschluss ansonsten souveräner Staaten sein. Österreich etabliert sich schnell als die Macht mit dem hier größten Einfluss. Die Bundesakte, quasi die Verfassung dieser Föderation, legt fest, dass sich alle Mitgliedsländer nochmals eigene Verfassungen geben sollen, was viele anschließend auch tatsächlich tun. Allerdings widersetzen sich wieder einmal die beiden Großmächte Preußen und Österreich, die bis 1848 keine geschriebene Verfassung erlassen werden.

Die Verhandlungen in Wien gehen auch weiter, als Napoleon kurzzeitig aus der Verbannung auf der Mittelmeerinsel Elba zurückkehrt und wieder die Macht in Frankreich an sich reißt. Die versammelten Herrscher erneuern jedoch schlicht ihre alte Koalition und schlagen ihren Widersacher endgültig in der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815.

Die Schlacht von Waterloo. Gemälde von William Sadler (1815). Quelle: gemeinfrei

Bereits neun Tage vorher unterzeichnen die Kongressteilnehmenden die Abschlussakte in Wien und besiegeln in ihrem Sinne das weitere Schicksal Europas. Über viele Jahre hat Napoleon selbst Geschichte geschrieben, jetzt scheint er ein von ihr Getriebener geworden zu sein.

Die Abschlussakte des Wiener Kongresses, unterzeichnet am 9. Juni 1815, umfasst 121 Artikel und sämtliche in Wien abgeschlossenen Verträge. Die unterzeichnenden Mächte garantieren mit ihrer Unterschrift deren Ratifikation. Das sind aber bei Weitem nicht alle, die auch in der österreichischen Hauptstadt anwesend sind.

So unterschreiben die Kongressakte nur die acht Hauptmächte Österreich, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Portugal, Preußen, Russland und Schweden. Die Deutsche Bundesakte, die teilweise in die Kongressakte aufgenommen wird, unterzeichnen davon unabhängig die Verantwortlichen der deutschen Staaten.

Die (un)heilige Allianz

In Wien legen die Großmächte den Grundstein für eine weitere Absprache, die Europa in den nächsten Jahrzehnten prägen wird: die Heilige Allianz. Sie ist zwar nicht offiziell Teil der Beschlüsse des Wiener Kongresses, ist inhaltlich und mit Blick auf dessen Folgen aber eng mit diesem verbunden. Zunächst schließen sich in ihr Preußen, Österreich und Russland zusammen, die damit zur christlichen Brüderlichkeit aufrufen. So grenzen sie sich klar von der revolutionären Brüderlichkeit der Völker ab.

Dieses „Bündnis der Herrscher“ soll eine Balance der Mächte garantieren und gleichzeitig Unterstützung in Aussicht stellen, sollte es in einem ihrer Herrschaftsbereiche zu revolutionären Unruhen oder nationalen und liberalen Bestrebungen kommen. Hier zementieren die Herrscher also nochmal ihre in Wien vereinbarten Prinzipien. Nach und nach treten diesem Zusammenschluss fast alle europäischen Staaten bei.

Das europäische Staatensystem, das aus dem Wiener Kongress hervorgeht, das als Pentarchie bezeichnete Gleichgewicht der großen Fünf, sorgt zwar für Stabilität. Bis in die 1850er Jahre hinein, bis zum Ausbruch des Krimkrieges, verhindert es zudem erfolgreich zwischenstaatliche Kriege. Doch allen revolutionären sowie demokratischen, liberalen und nationalen Bestrebungen versetzt der Wiener Kongress einen herben Schlag.

Gerade Fürst Metternich und das von ihm etablierte System der Unterdrückung werden schnell zu einem Synonym für die die staatliche Repression, die in vielen Staaten in dieser Zeit der Restauration vorherrscht. Doch die Ideen der Französischen Revolution, von Menschenrechten und von Demokratie sind in der Welt – daran ändert letztlich auch der Kongress der Fürsten in Wien nichts.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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