Demokratiegeschichten

Mutter des Parlaments?! Clotilde Koch-Gontard zwischen Salon und Parlament

„Es macht mir recht viel Mühe, die Küche als den Hauptschauplatz meiner Tatkraft anzusehen.“ Dieser Satz ist programmatisch: Der Frankfurterin Clotilde Koch-Gontard (1813-1869) gelang es, aus dem klassischen Rollenklischee auszubrechen und Fuß in der Politik zu fassen. Damals wie heute sprach man von ihr als „Parlamentsmutter“ der Revolution 1848. Doch war sie das? Sie selbst warf sich vor ihrem Tod vor, dass sie mehr hätte bewegen können.

„Kinder, Küche, Kirche“, dies war das typische weibliche Rollenbild im 19. Jahrhundert; aus diesem heraus zu fallen, war nicht erwünscht. Doch als im Vormärz die nationalliberale Bewegung gegen den Deutschen Bund  aufkam, begannen auch die Frauen langsam, sich zu artikulieren. Es entstanden politische Strömungen, die in kleineren Kreisen zusammenkamen. Ein Beispiel für solch eine Gruppierung war der Deidesheimer Kreis, in dem auch Clotilde verkehrte.

Obwohl Germania, die Personifizierung des vereinten Deutschlands, als Frau dargestellt wurde, war für die meisten Zeitgenossen Koch-Gontards klar: Frauen haben in der Politik nichts verloren. Gemälde von Philipp Veit, 1848. Quelle: gemeinfrei

Er bestand aus den führenden Vertretern der rheinisch-südwestlichen Liberalen, unter ihnen Franz Peter Buhl, Heinrich von Gagern und Ludwig Andreas Jordan. In der Revolutionszeit entwickelte sich Frankfurt zur Hauptstadt „politischer Geschehnisse“. Wegen des in der Paulskirche tagenden Vorparlaments zog es immer mehr Abgeordnete dorthin. Clotilde in ihrer Eigenschaft als Frankfurter „Patriotin“ nutzte die Gelegenheit und eröffnete einen politischen Salon in ihrem Stadthaus im Großen Hirschgraben. Damit bot sie den Politikern einen „neutralen Boden“ zum geistigen Austausch.

Dieser Salon wurde von dem Journalisten und Politiker Karl Mathy als „Feentempel“ bezeichnet, in welchem Clotilde die Rolle als „Diplomatin im Tee-Salon“ einnahm. Sie wurde von einflussreichen Männern als „geistreich, mit klarem Verstand und mit einem hervorragenden Instinkt für Politik” beschrieben.  Mir ihrer eleganten Erscheinung, Charme, Witz und intellektueller Stärke wickelte sie Männer unterschiedlichster politischer Gesinnung um den Finger. Dank ihrer politischen Aufgeschlossenheit akzeptierte sie jede Meinung und ließ sich auch gerne von Debatten mitreißen, um ihr eigenes Wissen zu erweitern.

Einzige Frau in ihrem Salon

Clotilde stammte aus der großbürgerlichen Frankfurter Familie Gontard. Auf einem Ball lernte sie ihren späteren Mann, Heinrich Friedrich Robert Koch (1808-1865), kennen. Dieser war der Juniorchef des Handelshauses Gogel Koch & Co sowie Britischer Konsul. 1833 heirateten sie. Das Paar bekam vier Kinder, um die sich Clotilde stets kümmerte. Clotilde war eine engagierte Brief- und Tagebuchschreiberin, die es bedauerte, dass sie die einzige Frau war, die an ihren Salons teilnahm. Sie schreibt: „Nie empfinde ich so schmerzlich wie jetzt, dass ich nicht auch eine Frau hier habe, die mich versteht“.

Heinrich von Gagern, ein enger Weggefährte Koch-Gontards, Ölgemälde von Eduard von Heuss, 1848. Quelle: gemeinfrei

Ihr engster Vertrauter Heinrich von Gagern, Vorsitzender der Paulskirchenversammlung, sorgte für intensivere Berührung mit der Politik. Sie unterstützte den ehrgeizigen Politiker so gut es ging. „Wir sehen ihn natürlich sehr wenig, haben aber das Gefühl, dass wir ihm die Hände unter die Fußsohlen legen möchten, wenn er unser Haus betritt”. Clotilde, von der Politik ergriffen, besuchte oft Sitzungen in der Paulskirche. Das war ihr jedoch ausschließlich als Zuschauerin möglich, ihr Fokus lag auf Gagern. „Wenn er da oben steht, habe ich immer ein Gefühl von Furcht und Schüchternheit vor dieser geistigen und sittlichen Größe, die Sache gewinnt unter seiner Leitung eine sehr würdige Haltung und es ist hier recht sichtbar, was die Einwirkung eines Menschen auf die Masse sein kann”. Heute nennen die Historiker Gagern und Koch-Gontard „Seelenverwandte”.

Clotilde ließ sich, durch Gagerns Einfluss, gegen das Spektrum der extremen linken Demokraten lenken. Damit wuchs in ihr eine Liebe zum nationalen Liberalismus. Die Sitzungen ihres politischen Salons waren geprägt von Teilnehmern, die nationalliberale Ansichten vertraten.

Als Mann verkleidet ins Vorparlament

Schon am 3. April 1848 schmuggelte sie sich als Mann verkleidet ins Vorparlament, um das Geschehen mit eigenen Augen zu verfolgen. „Dass ich noch einen Gedanke vom ganzen erhielt, war mir gar lieb”. Sie beschreibt die Zeit, in der Frankfurt immer mehr an politischem Ansehen und Wichtigkeit gewann, mit den Worten „Jeder Mensch fühlt die große Bedeutung”. Sie betont: „Ich gehe täglich gerne in die Sitzung, ich kann die Politik nicht lassen”.

Durch ihre Tagebucheinträge wollte sie der Nachwelt von den Ereignissen in Frankfurt berichten und schrieb: „Ich versuche, die wichtigsten Eindrücke der letzten Zeit niederzuschreiben”. Sie erkannte jedoch früh, dass das Interesse der Frauen an der Politik von vielen Männern nicht gern gesehen wurde. „Ich fühle, dass wir Frauen uns der Sache nicht so leidenschaftlich hingeben sollten”, schrieb sie am 25. Mai 1848.

Allerdings war es nicht lange so, dass in den politischen Salons friedliche und lehrreiche Sitzungen stattfanden. Damit kam es auch zum Bruch in Clotilde Koch-Gontards Leben. Das bevorstehende Scheitern der revolutionären Bewegung war in Frankfurt besonders im Parlament spürbar. Die Stimmung in den Salons wurde radikaler und es kam zu mehr Uneinigkeit unter den Abgeordneten. Clotilde schrieb im Winter 1848: „Die Parteien sind so schroff, dass mein Teetisch unhaltbar wird, ich bestehe mich nichts Neues anzuknüpfen” und „Man bringt sie nicht mehr gern zusammen, weil man Disharmonie fürchtet”.

An den Sitzungen der Frankfurter Nationalversammlung konnte Koch-Gontard nur als Zuschauerin teilnehmen. Kolorierte Zeichnung von
Ludwig von Elliott, 1848. Quelle: gemeinfrei

Sie bemerkt früh, dass „das zerstrittene Parlament einem Tollhaus [gleiche]”. Mit dem finalen Zerbrechen des Paulskirchenparlaments brach auch der Koch-Gontard’sche Salon zusammen, wodurch das Gefühl der Einsamkeit und Entfremdung in ihr wuchs und sie sich wieder mehr der Familie widmete. Sie vermisste jedoch die Politik. Als der Tod sich näherte, kamen in ihr immer mehr die Gedanken eines nicht erfolgreichen Lebens auf. Sie starb depressiv und nach schwerer Krankheit am 28.Februar 1869.

Vorbild und Inspiration

Clotilde Koch-Gontard lebte ein Leben, wie es für eine Frau ihrer Zeit nicht üblich war. Gleichzeitig musste sie sich oft dem damals herrschenden Frauenbild unterwerfen. Trotz ihrer vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten gelang es ihr, ihrer Rolle als liebevolle Familienmutter gerecht zu werden.

Man kann der These, der zufolge sie zu Zeiten der Revolution eine einflussreiche Frau war, nur zustimmen. Clotilde zeigte unglaublich viel Empathie und Verstand, um hinter den Kulissen in der Politik mitwirken zu können. Die Verfolgung ihrer Interessen gab sie nicht auf und setzte dadurch ein Zeichen für alle Frauen bis heute. Besonders in der Zeit nach ihrem Tod wurde die Bedeutung von Clotilde Koch-Gontard immer deutlicher.

Sie wurde von verschiedensten Personen außerordentlich verehrt, als wichtigste Frau ihrer Zeit beschrieben, als „glühende Verfechterin der deutschen Einheitsbewegung” bezeichnet und für ihren „hervorragenden Instinkt für Politik” gelobt. Um aus einem anderen Blickwinkel als dem der Politik auf ihr Leben zu schauen, ist sie heute Inspiration und Vorbild für jede unterdrückte Frau. Sie hat gezeigt, dass das Leben als Mutter und Ehefrau sowohl damals als auch heute mit dem Arbeitsleben und politischer Betätigung vereinbar ist. Mit ihrer Bewirtung und der Rolle als Gastgeberin kann Clotilde Koch-Gontard wahrhaftig als Mutter des Parlaments bezeichnet werden. So hat sie wahrscheinlich mehr bewegt, als man Frauen damals zugestanden hat.

Die Autorinnen: Anna Jessen und Amelie Lüßmann, Geschichte LK/Q2, Anna-Schmidt-Schule Frankfurt am Main

Dieser Beitrag ist Teil des Projekts „Geist der Freiheit“. Es hat Akteur*innen verschiedener Bereiche in der Rhein-Main-Region eingeladen, an einer Zeitung zum Revolutionsjubiläum 1848/49 mitzuwirken. Sie berichten über Orte, Ereignisse und Personen der Zeit und fragen, was uns die Revolution auch nach 175 Jahren heute angeht. Acht Beiträge von Schüler:innen der Anna-Schmidt-Schule erscheinen in Kooperation mit Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. vorab auf dem Blog „Demokratiegeschichten“. Das „Extrablatt im Geist der Freiheit“ ist kostenfrei bei der KulturRegion FrankfurtRheinMain erhältlich. Weitere Informationen finden Sie hier.

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