Demokratiegeschichten

Fridtjof Wedel-Jarlsberg Nansen – Vom Polarforscher zum Friedensnobelpreisträger

Fridtjof Wedel-Jarlsberg Nansen führte ein ereignisreiches Leben.

Ein Satz, simpel, zutreffend – aber er sagt kaum etwas über den Norweger aus. Schaut man sich Nansens über die Jahre gesammelte Berufe an, kommt man dem Ereignisreichtum seines Lebens schon etwas näher. In der Liste stehen dann neben Zoologe, Ozeanologe und Polarforscher auch Diplomat, Hochkommissar für Flüchtlingsfragen sowie Friedensnobelpreisträger.

Wie sich diese so unterschiedlichen Aufgaben verbanden, darum geht es in unserem heutigen Blogartikel.

Frühe Jahre

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Fridtjof Nansen im Alter von vier Jahren, Foto: National Library of Norway.

Beginnen wir am Anfang. Am 10. Oktober 1861 kam Fridtjof Wedel-Jarlsberg Nansen in Store Frøen bei Christiania, heute Oslo, zur Welt. Seine Kindheit verbrachte er im Kreis einer großen Familie – sieben (Halb-)Geschwister – auf dem Land. Nansen hielt sich gern in der Natur auf und fasste eine große Liebe zum Wintersport.

Nach dem Tod seiner Mutter zog er mit seinem Vater und einem jüngeren Bruder nach Christiania. Dort studierte er nach seinem Abitur ab 1881 Zoologie.

Nur ein Jahr nach Studienbeginn schloss sich Nansen einer Expedition in arktische Gewässer an. Die Reise an Bord der Viking dauerte insgesamt fünf Monate, ein paar Wochen im Juli war das Schiff im Packeis eingeschlossen. Während dieser Reise gelang es Nansen u.a. nachzuweisen, dass Eisbildung nicht wie bisher angenommen in tiefen Wasserschichten, sondern an der Oberfläche stattfindet. Außerdem fand er heraus, dass der warme Golfstrom unterhalb einer Schicht kalten Salzwassers verläuft.

Nach seiner Rückkehr nahm Nansen sein formelles Studium nicht wieder auf. Stattdessen wurde er 1882 Kurator der zoologischen Abteilung des Bergen Museums. Dort forschte er mehrere Jahre lang in der Anatomie und Histologie, sein besonderes Augenmerk galt jedoch der Neuroanatomie, also dem Aufbau des Nervensystems.

Zwei Forschungsreisen machen Nansen berühmt

Nansens Arbeiten lieferten eine der Grundlagen für die später entstandene „Neuronentheorie„. Doch es waren insbesondere zwei Forschungsreisen, die ihn in Wissenschaftskreisen und darüber hinaus berühmt machten.

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Nansen im Jahr 1888; Foto: gemeinfrei.

Im Sommer 1888 machte Nansen sich mit fünf Begleitern auf den Weg, um mit Skiern Grönland von Ost nach West zu durchqueren. In wenigen Wochen durquerte die Expedition die Eismassen. Dadurch konnten sie nachweisen, dass das Innere Grönlands tatsächlich von Schnee und Eis bedeckt ist. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte niemand vor ihnen die Insel komplett durchquert. Den Winter verbrachten sie in Godthåb bei den dort lebenden Inuit, Grönlands indigener Bevölkerung. Von diesen lernten sie nicht nur ihre Lebensweisen, sondern auch Techniken zum Überleben in der Arktis kennen.

Nach seiner Rückkehr heiratete Nansen Eva Saars, die Tochter eines norwegischen Zoologen. 1893 kam ihre erste Tochter Liv zur Welt. Noch im selben Jahr machte sich Nansen auf zu seiner zweiten, noch spektakuläreren Forschungsreise.

Nansens zweite berühmte Expedition war eine Schiffreise mit der Fram ins Nordpolarmeer. Per Schiff wollte Nansen versuchen, der Nordpol zu erreichen. Als sie mit dem Schiff nicht mehr weiter kamen, versuchten Nansen und ein Begleiter es zu Fuß und mit Hundeschlitten. Auch so gelang ihnen der Weg zum Nordpol nicht, doch waren sie diesem so nahe gekommen wie kein Mensch zuvor. Als Nansen nach drei Jahren 1896 zurückkehrte, wurde er wie ein Held gefeiert.

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Die Expeditionsmannschaft nach der Rückkehr der Fram nach Christiania im September 1896. Nansen als 2. v. r. in der vorderen Reihe. Foto: gemeinfrei.

Einstieg in die Politik

Nach seiner Rückkehr galt Nansen als der Experte in der Polarforschung. In den folgenden Jahren beriet er einige Forschungsreisende, die in Arktis und Antarktis aufbrachen. Eigene große Forschungsreisen unternahm er jedoch nicht.

Stattdessen zog es ihn unvermittelt in die Politik. Denn seit den 1890er Jahren gab es auch in Norwegen zunehmend nationalistische Strömungen. Die Personalunion mit Schweden, die seit 1814 bestand, war stark umstritten. Als eine von Norwegens prominentesten Personen sprach sich Nansen wiederholt für die Unabhängigkeit und politische Souveränität seines Landes aus.

1905 kam es zum Bruch der Personalunion, als Oscar II., König von Schweden und König von Norwegen, zunächst die eigenständige diplomatische Vertretung Norwegens im Ausland und anschließend die Auflösung des norwegischen Parlaments ablehnte. Daraufhin erklärte das norwegische Parlament die Personalunion für beendet. Ein Referendum im folgenden Jahr offenbarte aber, dass eine Mehrzahl der Norweger:innen an der Monarchie festhalten wollte. Als potentieller Anwärter auf die norwegische Krone galt der dänische Prinz Carl von Glücksburg. Um ihn von der Annahme der norwegischen Krone zu bezeugen, reiste Nansen nach Kopenhagen. Mit Erfolg: Im Juni 1906 bestieg der vormalige Prinz als Hakon VII. den Thron und wurde so der erste König eines unabhängigen Norwegens. Bis 1908 blieb Nansen als Diplomat in London und handelte dort die Unabhängigkeit Norwegens mit aus.

Diplomat im Ersten Weltkrieg und in den Nachkriegsjahren

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, erklärte Norwegen seine Neutralität, ebenso wie Schweden und Dänemark. Die drei Länder gründeten die Nordische Verteidigungsunion, man ernannte Nansen zu ihrem Präsidenten. Die Position ging jedoch mit wenig Verpflichtungen einher, sodass Nansen größtenteils unbehelligt weiterforschen konnte.

Bedeutender dürfte wohl seine Rolle als Sonderbotschafter in Washington gewesen sein. Durch die Blockade wichtiger Handelswege gar es in Norwegen zunehmend Versorgungsengpässe, Nansen erwirkte nach monatelangen Verhandlungen die Lieferungen von Hilfsgütern aus den USA.

Als nach Kriegsende auf der Pariser Friedenskonferenz die Gründung eines Völkerbunds beschlossen wurde, war Nansen überzeugt, Norwegen müsse ein Teil desselben werden. Durch seinen Einsatz wurde Norwegen 1920 ein vollwertiges Mitglied im Völkerbund. Nansen selbst war einer von drei norwegischen Abgeordneten und leitete die norwegische Delegation.

Datei:Portrett av Fridtjof Nansen, 1922.jpg
Nansen im Jahr 1922 als Kommissar des Völkerbunds. Foto: Anders Beer Wilse, CC BY 2.0 DEED.

Der Völkerbund ernannte Nansen zum Ersten Hochkommissar des Völkerbundes für Flüchtlingsfragen. Schon bevor er diesen Titel erhielt, verhalf Nansen Hunderttausenden Kriegsflüchtlingen, in ihre Heimat zurückzukehren. Nach dem Ausbruch der Russischen Revolution und dem anschließenden Russischen Bürgerkrieg sorgte Nansen für die Wiederansiedlung von etwa zwei Millionen geflüchteten Menschen.

Als 1921-1922 eine Hungersnot in Russland ausbrach, organisierte Nansen ein Hilfsprogramm, um Millionen von Menschen vor dem Verhungern zu retten. Seine Arbeit wurde dadurch erschwert, dass der Völkerbund selbst der sowjetrussischen Regierung misstraute. Staatliche Unterstützung erhielt Nansen daher kaum, er war auf Hilfe von privaten Organisationen angewiesen. Zur Einschränkung der Hungersnot konnte er so nur geringfügig beitragen. Verbittert darüber notierte er:

In vielen Ländern diesseits und jenseits des Atlantiks gab es einen solchen Überfluss an Mais, dass die Bauern gezwungen waren, ihn in den Kesseln der Eisenbahnen zu verbrennen. Zur selben Zeit lagen Schiffe in Europa untätig vor Anker, weil es keine Fracht gab, [und] Tausende, nein Millionen waren arbeitslos. All dies, während man 30 Millionen Menschen in der Wolga-Region, nicht weit entfernt und durch unsere Schiffe leicht erreichbar, hungern und sterben ließ.

E. E. Reynolds, Nansen, S. 230.

Der Nansen-Pass

Für die staatenlosen russischen Flüchtlinge entwarf Nansen zudem den sogenannten Nansen-Pass. Diesen Pass erhielten die Geflüchteten in dem Land, in dem sie Zuflucht fanden. Er war für ein Jahr gültig, danach musste er verlängert werden. Mit dem Pass war es den Menschen möglich, in das Land zurückzukehren, in dem der Pass erstellt worden war, also zu reisen. An den Status eines regulären Passes kam der Nansen-Pass zwar nicht heran, aber er gewährte den Inhaber:innen ein Mindestmaß an Sicherheit. Ab 1924 konnten auch geflüchtete Menschen aus Armenien, ab 1928 aus der Türkei und ab 1935 aus dem Saarland den Nansen-Pass beantragen. Erst 1946 ersetzte das London Travel Document den Nansen-Pass.

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Fridtjof Nansen 1925 vor einem armenischen Waisenheim, Foto: gemeinfrei.

Fridtjof Nansen erhielt für sein Engagement in der Flüchtlingshilfe und die Etablierung des Nansen-Passes 1922 den Friedensnobelpreis. Das Preisgeld spendete er an die Flüchtlingshilfe. In den 1920er Jahren reiste er an viele Krisenherde der Welt und setzte sich weiter für Flüchtlinge ein. Seine Reisen führten ihn unter anderem ins kriegsgebeutelte Griechenland und nach Armenien, wo wenige Jahre zuvor ein Genozid an der Bevölkerung stattgefunden hatte. Etwa 50.000 von ihnen half Nansen, eine neue Heimat zu finden.

Trotz seiner zahlreichen Aufgaben für den Völkerbund blieb Nansen weiter in der Wissenschaft tätig. 1925 ernannte ihn die University of St. Andrews als ersten Ausländer überhaupt zum Lord Rector.

1930 starb Fridtjof Nansen im Alter von 69 Jahren an einem Herzinfarkt. Sein Wirken strahlte noch lange Zeit nach. Bereits im selben Jahr wurde das
Internationales Nansen-Büro für Flüchtlinge eröffnet. Bis 1939 kümmerte es sich um geflüchtete Menschen, besonders innerhalb Europas. Zudem sorgte es für die weitere Verbreitung des Nansen-Passes. 1938 erhielt das Büro dafür ebenso wie sein Namensgeber zuvor den Friedensnobelpreis.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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