Demokratiegeschichten

Jutta Limbach

Am 14. September 1994 wurde Jutta Limbach als Nachfolgerin von Roman Herzog Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Damit nahm sie als erste Frau das höchste Richteramt der Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Lebenslauf und ihre Rechtssprüche zeigen, wie Recht und Alltag aufeinander treffen. 25 Jahre nach ihrem Amtsantritt erinnern wir deshalb an eine beispiellose politische und juristische Laufbahn.

Familiärer Hintergrund und juristische Anfänge

Geboren wurde Jutta Limbach 1934 in Berlin. Schaut man sich ihre Familiengeschichte an, scheint eine politische Kariere vorherbestimmt. Ihr Vater Erich Ryneck war Sozialdemokrat und 1946-1948 Bürgermeister des Ostberliner Bezirks Pankow. Ihre Großmutter Elfriede Ryneck zog für die SPD in die Weimarer Nationaversammlung ein und gründete außerdem zusammen mit Marie Juchacz die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Und ihre Urgroßmutter Pauline Staegemann war Mitbegründerin der ersten sozialdemokratischen Frauenorganisation, des Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenvereins.

Als sich Jutta Limbach 1955 an der Freien Universität Berlin in Rechtswissenschaften einschreibt, wollte sie was werden? Richtig – politische Journalistin. Doch es kommt anders: Während ihres Studiums merkt sie, dass sie Spaß am Fach hat. Und begabt ist sie auch. Als nur eine von zwei Personen schließt sie das zweite Staatsexamen 1962 an der Freien Universität mit „gut“ ab. In den Rechtswissenschaften kommt dies einer Auszeichnung mit Sternchen gleich.

Die nächsten Jahre bleibt sie der Freien Universität treu. Zunächst promoviert sie, dann habilitiert sie sich und tritt 1972 eine Professur im Fachbereich Rechtswissenschaften an. Bei reiner Theorie bleibt sie jedoch nicht. U. a. unterrichtet sie das Fach Rechtssoziologie, das die politische Dimension des Rechts und seine Bedeutung für die Menschen behandelt.

Berliner Justizministerin

Das Nordsternhaus, Sitz der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung; Bild: SenJustV

„Erst“ Ende der 80er-Jahre wurde Limbach in der Politik tätig. Von 1987-1989 war sie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Unter Bürgermeister Walter Momper wird sie 1989 Senatorin für Justiz in Berlin. Regelmäßig nimmt sie am „Hexenfrühstück“ der Frauen des Berliner Senats teil. Das diente, so sagt sie einmal im Interview,

„der Selbstvergewisserung, prägt einen Umgangsstil, der nicht auf Konfrontation und Konkurrenz aus ist, sondern das Miteinander, die Suche nach der gemeinsamen Basis betont.“


https://www.zeit.de/1989/24/danke-fuer-den-beistand/komplettansicht

Gleich ihre erste Aufgabe im Amt hat es in sich: Limbach verhandelt mit in den Hungerstreik getretenen RAF-Terroristen. Statt auf Konfrontation setzt sie auf Gesprächsbereitschaft und trifft sich persönlich mit zwei der inhaftierten Frauen. Ihre Methode hat Erfolg: Der Hungerstreik wird abgebrochen, eine Einigung erzielt.

Kurze Zeit später fällt die Mauer. Und wieder steht Limbach vor einer heiklen Aufgabe. Ihr obliegt die Aufgabe, das Justizpersonal des ehemaligen Ostberlins zu überprüfen. Wer hat sich vom DDR-Regime politisch missbrauchen lassen? Keine leicht zu klärende Frage.

Die politischen Entscheidungen der DDR beschäftigen sie auch in ihrer zweiten Amtszeit als Senatorin unter Bürgermeister Eberhard Diepgen. Anfang der 90er-Jahre sorgt sie dafür, dass die Führungsspitze der DDR wegen des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze angeklagt wird.

Richterin am Bundesverfassungsgericht

Richterroben des Bundesverfassungsgerichts; Foto: wikimedia

Immer wieder zeigt sich in Limbachs Arbeit, dass die von ihr ausgeübten Tätigkeiten Einfluss auf den Lebensalltag der Bürger*innen haben und nicht theoretisch bleiben.

So auch ihre Entscheidungen als Vizepräsidentin, Vorsitzende des Zweiten Senats und Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Unter ihrem Vorsitz traf der Zweite Senat zahlreiche wichtige Entscheidungen, darunter beispielsweise…

  • zur Strafbarkeit früherer DDR-Agent*innen und Stasi-Mitarbeiter*innen wegen ihrer Spionagetätigkeit (BVerfGE 92, 277),
  • zur Teilnahme Deutschlands an der europäischen Währungsunion (BVerfGE 97, 350),
  • zum Kinderexistenzminimum (BVerfGE 99, 246; 99, 268 und 99, 273)
  • und zum Länderfinanzausgleich (BVerfGE 101, 158).

Zwei höchst umstrittene Entscheidungen in Limbachs Amtszeit, die breit öffentlich diskutiert werden, fällt das Bundesverfassungsgericht 1995. So beschließt es u. a., dass die Aussage „Soldaten sind Mörder„, ein Zitat von Tucholsky, unter die Meinungsfreiheit fällt und keine spezifische Beleidigung der Bundeswehr darstellt. Nach dem Urteil kochen die Emotionen teilweise so hoch, dass einige der Richter*innen Personenschutz anfordern. Eine andere umstrittene Entscheidung ist der „Kruzifix-Beschluss„: Sofern die Religionsfreiheit von Eltern und Schüler*innen durch das Aushängen von Kreuzen eingeschränkt wird, müssen diese in Bayern aus Klassenzimmern entfernt werden.

Zahlreiche andere Entscheidungen, die Recht und System der Bundesrepublik bis heute prägen, ließen sich aufzählen. Als Gerichtspräsidentin sorgt Limbach zudem dafür, dass die Rechtssprüche auch von Bürger*innen nachvollzogen werden können. Dafür stellt sie eine Pressesprecherin ein, die die Beschlüsse auf verständliche Art und Weise formuliert.

Spätere Jahre

Jutta Limbach im Jahr 2003

Erst mit Erreichen der Altersgrenze von 68 Jahren scheidet Jutta Limbach 2002 aus dem Amt der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts aus. Zur Ruhe setzt sie sich jedoch nicht. Noch im selben Jahr wird sie Präsidentin des Goethe-Instituts, das sie bis 2008 führt. Sowie im nächsten Jahr Vorsitzende einer Kommission, die sich mit der Rückgabe von NS-Raubkunst beschäftigt. Mitgliedschaften und Vorsitze in diversen Räten, so z. B. im Deutschen Sprachrat, folgen. Des weiteren erhält sie zahlreiche Ehrungen, darunter den Preis „Justice in the World“ der internationalen Richtervereinigung (2000) und das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (2002).

Als Jutta Limbach 2016 im Alter von 82 Jahren stirbt, würdigte sie das Bundesverfassungsgericht in einem Nachruf als

Präsidentin (…), die Maßstäbe setzte, und zwar in einer Zeit, die für die Akzeptanz des Gerichts und seiner Rechtsprechung in der Gesellschaft nicht immer einfach war. Nicht nur aufgrund ihres umsichtigen und zugewandten Führungsstils, sondern auch wegen ihres engagierten öffentlichen Eintretens für die Fundamente des demokratischen Verfassungsstaates gehört sie zu den prägenden Richterpersönlichkeiten des Bundesverfassungsgerichts und genießt innerhalb und außerhalb des Gerichts höchstes Ansehen.


https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/bvg16-064.html

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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