Demokratiegeschichten

9. November: „Schicksalstag“ der Deutschen

Einen Tag als „Schicksalstag“ zu bezeichnen, da sträuben sich bei mir ein wenig die Haare. Denn ich bin der Meinung, dass Menschen durch ihre Handlungen Ereignisse prägen. Mit kosmischer Macht hat das für mich nichts zu tun. Selbst, wenn sich an einem Tag wie dem 9. November also Ereignisse häufen: Von einem Schicksalstag kann meiner Meinung nach nicht die Rede sein.

Wo ich ohne Zweifel zustimmen würde: An kaum einem anderen Datum zeigen sich die Höhen und Tiefen der deutschen Demokratie so deutlich wie am 9. November.

Folgende Ereignisse prägten die Geschichte:

  • Am 9. November 1848 wird Robert Blum hingerichtet. Der 48er-Revolutionär und Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung war nach Wien gereist, um dort die Revolution zu unterstützen. Doch die Revolution erlitt eine Niederlage, kaiserliche Truppen verhafteten Blum. Sein Tod markiert somit auch den Beginn vom Ende der 1848er-Revolution.
  • Am 9. November 1918 rief der SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann die Republik aus. Im Chaos der Novemberrevolution und kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs begann so die Ära der ersten gesamtdeutschen Demokratie, der Weimarer Republik.
  • Am 9. November 1923 marschierte Adolf Hitler mit ca. 2.000 Männern in München zur Feldherrnhalle. Sein Versuch, die Regierung abzusetzen, scheiterte zwar. Doch konnte er überhaupt erst so großspurig auftreten, da er in Bayern breite Unterstützung aus republikfeindlichen und monarchietreuen Kreisen erhielt. Der 9. November, außer bei den Sozialdemokrat*innen mittlerweile verschrien, war von Hitler bewusst als Tag des Putsches gewählt.
  • 15 Jahre später befand sich Deutschland in einer Diktatur. Seit Jahren hetzten nationalsozialistische Politiker gegen die jüdische Bevölkerung. Das Attentat auf den Legationssekretär in Paris durch einen polnischen Juden bot die Gelegenheit, den 9. November als Tag des „Zorns des empörten Volkes“ zu inszenieren. In zahlreichen Städten wurden darauf hin Synagogen, Geschäfte und Häuser geplündert und zerstört. Die Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung hielt mehrere Tage an: Offiziell kamen 91 Menschen ums Leben, neuere Schätzungen gehen von bis zu mehreren tausend Toten aus. Heute ist die Nacht des 9. November 1938 als Reichspogromnacht bekannt.
  • „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“ Mit diesen Worten gingen Günter Schabowski und der 9. November 1989 in die Geschichte ein. In den Wochen zuvor war es in der DDR vermehrt zu Demonstrationen und Protesten gegen das Regime gekommen. Um die anhaltenden Proteste und Fluchtbewegungen zu stoppen, sollte u.a. ein neues Reisegesetz erlassen werden. Dieses erlaubte zum ersten Mal Privatreisen ins Ausland ohne Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. Noch am selben Abend versammelten sich Ost-Berliner*innen an den Grenzübergängen und forderten ihre neue Freiheit ein. Bis Mitternacht waren alle Grenzübergänge geöffnet – und dadurch die Mauer nach 28 Jahren gefallen.

Erinnern an den 9. November

Wie also erinnern am 9. November? Und an welchen?

Möglicherweise wurde der 9. November auch deshalb nicht zum Nationalfeiertag, weil die historischen Ereignisse an diesem so unterschiedlich waren. Insbesondere die Sorge, dass das Gedenken an den Mauerfall irgendwann die Erinnerung an die Reichspogromnacht überschatten könnte, wird eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung für den 3. Oktober gespielt haben.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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