Eigentlich sprach vieles dafür, dass 1919 bessere Zeiten aufziehen würden. Der Krieg war vorbei, die Revolution erfolgreich, die Monarchie gestürzt. Endlich brach die Zeit der Mitbestimmung, der Demokratie an: Noch im Januar sollten Wahlen zu einer Nationalversammlung stattfinden.
Doch stattdessen brachen in Berlin Anfang des Jahres bewaffnete Kämpfe aus: Der Januaraufstand begann am ersten Sonntag des Jahres.
Hintergrund: Die Entlassung von Emil Eichhorn
Am 4. Januar 1919 hatte die preußische Regierung den Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn entlassen. Eichhorn war erst im November vom Rat der Volksbeauftragten – der provisorischen Regierung – zum Polizeipräsidenten ernannt worden. Er war Mitglied der USPD, als solcher unterstützte er den radikalen Flügel der Arbeiterbewegung. So hatte er sich während der Weihnachtskämpfe 1918 auf die Seite der meuternden Matrosen der Volksmarinedivision gestellt. Diese hatten nach ausbleibenden Lohnauszahlungen das Stadtschloss besetzt und sich Kämpfe mit regierungstreuen Truppen geliefert.
Nach der Einstellung der Kämpfe zerbrach die neue Regierung: Die Mitglieder der USPD verließen den Rat der Volksbeauftragten. Eichhorn war als Polizeipräsident das USPD-Mitglied mit dem höchsten Posten in Berlin. Nach dem Zerbrechen der Regierung forderte er zum Eintritt in den Spartakusbund ein. Bei diesem handelte es sich um eine linke Gruppe unter Leitung von Karl Liebknecht, die die Absetzung der Regierung forderte. Als Eichhorn sich dann noch weigerte, Befehle vom Innenminister anzunehmen, war er für die Regierung nicht länger tragbar.
Von der Demonstration zum Aufstand
Noch am Tag der Entlassung Eichhorns beschloss der Vorstand der Berliner USPD gemeinsam mit den Revolutionären Obleuten, am nächsten Tag eine Demonstration durchzuführen. Hunderttausende Menschen fanden sich zusammen. Einige forderten die Wiedereinsetzung Eichhorns, andere die Fortführung der Revolution, wieder andere die Einigung der Arbeiterbewegung. Viele von ihnen waren bewaffnet.
Schon während der Demonstration kam es – vermutlich durch Spitzel und Provokateure gelenkt – zur Besetzung von Druckereien. Darunter waren die des Berliner Tageblatts und der sozialdemokratischen Parteizeitung „Vorwärts„. Aus der Demonstration wurde so ein bewaffneter Aufstand. Weil auch Mitglieder des Spartakusbundes teilnahmen, ging er später – fälschlicherweise, da sie diesen weder initiierten noch anführten – als „Spartakusaufstand“ in die Geschichte ein.
Planung des Regierungssturzes
Am Abend des 5. Januar trafen sich führende Mitglieder von USPD, KPD und der Obleute und berieten über das weitere Vorgehen. Einige von ihnen, darunter Karl Liebknecht, unterstützten die Besetzung des „Zeitungsviertels“ und plädierten für den Sturz der Regierung. Neben den Aufständischen auf den Straßen wähnten sie die Militärregimenter hinter sich – was sich später als Irrtum herausstellte. Sie bildeten daher einen Revolutionsausschuss und erklärten die „Regierung Ebert“ für abgesetzt.
Um den Regierungssturz zu erreichen, rief der Ausschuss – bestehend aus etwa 70 Leuten – für den 7. Januar zum Generalstreik und zum Sturz Eberts auf. Am nächsten Tag versammelten sich etwa 500.000 Menschen auf der Straße. Sie warteten auf Anweisungen darüber, was nun zu tun sei. Doch der Tag verging, ohne dass sich der Ausschuss äußerte. Als auch am 7. Januar keine Neuigkeiten auf die Straße drangen, gingen die meisten Berliner:innen wieder nach Hause. Für den Moment hatte der Aufstand seine Dynamik verloren. Und damit die Chance vertan, die Reichskanzlei tatsächlich zu übernehmen.
Uneinigkeit im Ausschuss
Die fehlende Kommunikation nach außen hing mit der Uneinigkeit im Ausschuss selbst zusammen. Ein paar Mitglieder, unter ihnen Rosa Luxemburg, sprachen sich für Verhandlungen mit der Regierung aus. Ein anderer Teil, angeführt von Karl Liebknecht, setzte sich allerdings für die Führung eines Bürgerkriegs ein. Unter Einsatz von Waffen wollte dieser Teil des Ausschusses die für den 19. Januar angesetzten Wahlen zur Nationalversammlung unterbinden. Stattdessen sollte eine Räterepublik nach russischem Vorbild entstehen. Insbesondere Liebknecht wollte durch dieses Vorgehen eine weitere Entfremdung zwischen der KPD und den Arbeiter:innen verhindern.
Neben der Einigung innerhalb der Bewegung scheiterte auch der Versuch, die in Berlin stationierten Regimenter auf die Seite der KPD zu ziehen. Die Mehrheit der Truppen erklärte sich stattdessen für neutral oder blieb dem Rat der Volksbeauftragten loyal.
Gegenmaßnahmen der Regierung
Nachdem Verhandlungen zwischen Revolutionsausschuss und Reichsregierung scheiterten, begann der Volksbeauftragte für Heer und Marine Gustav Noske kampffähige Truppen vor den Toren Berlin zusammenzuziehen. Außerdem fanden sich auf seine Anweisung hin Freikorps zur Niederschlagung des Aufstands zusammen. Zu diesen gehörten auch rechte Freikorps, die unter dem Befehl des Generals von Lüttwitz standen.
Am 8. Januar wandte sich dann der Rat der Volksbeauftragten an die Bevölkerung. Er rief zum Widerstand gegen die Aufständischen auf. Einen Tag später forderte der Revolutionsausschuss abermals zum Kampf gegen die Regierung auf. Beide Seiten drohten diesmal der jeweils anderen mit Gewalt.
Zwar beteiligten sich viele Arbeiter:innen insbesondere am Aufruf der Regierung zur Verhinderung der Gegenrevolution. Doch machten sie bei einem Treffen im Humboldthain am 9. Januar deutlich, dass sie nichts von weiteren Kämpfen wissen wollten. Stattdessen forderten sie ein Ende der Straßenkämpfe und machten die Führer der jeweiligen Seiten für den „Brudermord“ verantwortlich. Deren Rücktritt wurde ebenso gefordert wie die Bildung einer Regierung, an der alle sozialistischen Parteien beteiligt sein sollten.
Die Niederschlagung des Aufstands
Während auf den Straßen noch Uneinigkeit herrschte, ließ Gustav Noske am 10. Januar Freikorps und andere Truppen in die Reichshauptstadt einrücken. Am selben Tag noch überfiel das Freiwilligen-Regiment Reinhard das Hauptquartier der Spartakisten in Spandau. Sie sollten die Besetzung des Zeitungsviertels gewaltsam beenden.
Der Großteil der Truppen war jedoch an der „Befreiung“ des Zeitungsviertels beteiligt. Zwar waren die Aufständischen, die sich in den Verlags- und Druckgebäuden verschanzt haben, bewaffnet. Doch die Freikorps und Regimenter rücken mit Kriegsmaschinerie wie Flammenwerfern und Maschinengewehren an. Bald brach im Gebäude des „Vorwärts“ ein Feuer aus. Als sich fünf Aufständische nach draußen begaben, um mit den Soldaten zu verhandeln, wurden sie mit zwei zuvor festgenommenen Männern vor Ort hingerichtet.
Innerhalb eines Tages räumten die Soldaten alle besetzten Gebäude. Insgesamt kamen bei den Kämpfen mindestens 165 Menschen ums Leben, darunter viele Zivilist:innen. Noch in den Tagen, die auf den Aufstand folgten, kam es zu mehreren Morden an Unterstützer:innen des Aufstands.
Zu den bekanntesten Mordopfern gehören Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Sie wurden in der Nacht zum 16. Januar zunächst verhaftet, dann misshandelt und ermordet. Bis heute findet am zweiten Januarwochenende die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration zur Erinnerung an die beiden Politiker:innen und ihre Ermordung statt.
Folgen für die Weimarer Republik
Die Niederschlagung des Aufstands sowie die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht führte in weiten Teilen des Deutschen Reichs zu weiteren Unruhen. Bereits im März 1919 wurde Berlin abermals von Straßenkämpfen erschüttert, die noch wesentlich schlimmer ausfielen als die im Januar. Auch hier konnte wieder nur durch den Eingriff des Militärs „Ruhe“ herbeigeführt werden.
Dass sich die Regierung gerade in der Anfangsphase auf das Militär stützen musste, schwächte sie nachhaltig. Denn große Teile des Militärs und insbesondere der Freikorps waren monarchistisch und/oder rechtsradikal eingestellt. An einer langfristigen Etablierung der Demokratie hatten sie kein Interesse. Unterstützung sicherten sie der Regierung vor allem so lange zu, wie es gegen links ging.
Vielleicht noch dramatischer war die Spaltung der Arbeiterbewegung. Die führenden Arbeiterparteien MSPD und USPD fanden nicht mehr zusammen. Infolgedessen erreichte die SPD bei Wahlen nie mehr als 37,9% der Stimmen und war stets auf Koalitionspartner aus dem bürgerlichen Spektrum angewiesen.
Der Januaraufstand – oder vielmehr der Umgang mit diesem – hinterließ der ersten gesamtdeutschen Demokratie ein schweres Erbe.
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